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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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zieht. So hat er mir noch heute Morgen zwei neue
Lehren gegeben, und auf die geschickteste Weise, ohne
auch nur den Mund aufzuthun, ohne sich bei mir sehen
zu lassen, ja, eben dadurch. Erstlich hat er mir ge-
zeigt, daß man sein Wort nicht zu halten braucht,
zweitens, daß es überflüssig ist, in die Kirche zu gehen,
und Gottes Gebote in sich aufzufrischen. Gestern
Abend versprach er mir, es zu thun, und ich verließ
mich darauf, daß er kommen würde, denn ich dachte:
er wird dem gütigen Schöpfer doch für die Wieder-
herstellung seiner Mutter danken wollen. Aber er
war nicht da, ich hatte es in meinem Stuhl, der
freilich für zwei Personen ein wenig eng ist, ganz
bequem. Ob es ihm wohl ganz recht wäre, wenn
ich mir die neue Lehre gleich zu eigen machte, und ihm auch
mein Wort nicht hielte? Ich habe ihm zu seinem
Geburtstag einen neuen Anzug versprochen, und hätte
also Gelegenheit, seine Freude über meine Gelehrig-
keit zu prüfen. Aber das Vorurtheil, das Vorurtheil!
Ich werde es nicht thun!
Leonhard.
Vielleicht war er unwohl --
zieht. So hat er mir noch heute Morgen zwei neue
Lehren gegeben, und auf die geſchickteſte Weiſe, ohne
auch nur den Mund aufzuthun, ohne ſich bei mir ſehen
zu laſſen, ja, eben dadurch. Erſtlich hat er mir ge-
zeigt, daß man ſein Wort nicht zu halten braucht,
zweitens, daß es überflüſſig iſt, in die Kirche zu gehen,
und Gottes Gebote in ſich aufzufriſchen. Geſtern
Abend verſprach er mir, es zu thun, und ich verließ
mich darauf, daß er kommen würde, denn ich dachte:
er wird dem gütigen Schöpfer doch für die Wieder-
herſtellung ſeiner Mutter danken wollen. Aber er
war nicht da, ich hatte es in meinem Stuhl, der
freilich für zwei Perſonen ein wenig eng iſt, ganz
bequem. Ob es ihm wohl ganz recht wäre, wenn
ich mir die neue Lehre gleich zu eigen machte, und ihm auch
mein Wort nicht hielte? Ich habe ihm zu ſeinem
Geburtstag einen neuen Anzug verſprochen, und hätte
alſo Gelegenheit, ſeine Freude über meine Gelehrig-
keit zu prüfen. Aber das Vorurtheil, das Vorurtheil!
Ich werde es nicht thun!
Leonhard.
Vielleicht war er unwohl —
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[30/0098] zieht. So hat er mir noch heute Morgen zwei neue Lehren gegeben, und auf die geſchickteſte Weiſe, ohne auch nur den Mund aufzuthun, ohne ſich bei mir ſehen zu laſſen, ja, eben dadurch. Erſtlich hat er mir ge- zeigt, daß man ſein Wort nicht zu halten braucht, zweitens, daß es überflüſſig iſt, in die Kirche zu gehen, und Gottes Gebote in ſich aufzufriſchen. Geſtern Abend verſprach er mir, es zu thun, und ich verließ mich darauf, daß er kommen würde, denn ich dachte: er wird dem gütigen Schöpfer doch für die Wieder- herſtellung ſeiner Mutter danken wollen. Aber er war nicht da, ich hatte es in meinem Stuhl, der freilich für zwei Perſonen ein wenig eng iſt, ganz bequem. Ob es ihm wohl ganz recht wäre, wenn ich mir die neue Lehre gleich zu eigen machte, und ihm auch mein Wort nicht hielte? Ich habe ihm zu ſeinem Geburtstag einen neuen Anzug verſprochen, und hätte alſo Gelegenheit, ſeine Freude über meine Gelehrig- keit zu prüfen. Aber das Vorurtheil, das Vorurtheil! Ich werde es nicht thun! Leonhard. Vielleicht war er unwohl —

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/98>, abgerufen am 24.11.2024.