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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

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1. Staatshändel in Europa c. 1763--1786.
rung, das, wenn es herrschend wurde, den Sturz
des bestehenden Staatensystems herbeyzuführen droh-
te. Je mehr die maschinenmäßige Administration
durch die Unterbrechung der Gebiete gestört wurde,
um desto größerer Werth ward auf die Arrondi-
rung
gelegt; und wohin die Sucht sich zu arron-
diren -- bald die Quelle der Projecte der Cabinette
-- führen konnte, führen mußte, fällt in die Au-
gen. Wo waren aber die Gefahren derselben grö-
ßer, als gerade in einem solchen System höchst
ungleicher Staaten, als das Europäische war?

67. So erhielten die materiellen Kräfte
der Staaten immer mehr ausschließend einen Werth
in den Augen der practischen Politik, und Qua-
dratmeilen und Volkszahl wurden der Maaßstab des
Glücks und der Macht. Nie arbeiteten auch so wie
hier die Schriftsteller den Practikern in die Hand;
was rechneten die Statistiker nicht aus? Und was
war bequemer für die Geschäftsmänner? Auf ei-
nem Blatt hatten sie ja den ganzen Staat vor sich!

Giebt es in dem ganzen Gebiet der Wissenschaften eine
einzige, die zu einem so ganz hirnlosen Machwerk herabge-
würdigt wäre, als die Statistik? Ist Angabe der Zahl von
Menschen und Vieh, ist überhaupt Zerlegung des Staats kör-
pers
schon Kunde des Staats? So wäre auch der Ana-
tom ein Menschenkenner, weil er Cadaver secirt!

68. Wenn übrigens gleich in der Politik wie in der
Staatswirthschaft das Herkommen herrschend blieb,

so

1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
rung, das, wenn es herrſchend wurde, den Sturz
des beſtehenden Staatenſyſtems herbeyzufuͤhren droh-
te. Je mehr die maſchinenmaͤßige Adminiſtration
durch die Unterbrechung der Gebiete geſtoͤrt wurde,
um deſto groͤßerer Werth ward auf die Arrondi-
rung
gelegt; und wohin die Sucht ſich zu arron-
diren — bald die Quelle der Projecte der Cabinette
— fuͤhren konnte, fuͤhren mußte, faͤllt in die Au-
gen. Wo waren aber die Gefahren derſelben groͤ-
ßer, als gerade in einem ſolchen Syſtem hoͤchſt
ungleicher Staaten, als das Europaͤiſche war?

67. So erhielten die materiellen Kraͤfte
der Staaten immer mehr ausſchließend einen Werth
in den Augen der practiſchen Politik, und Qua-
dratmeilen und Volkszahl wurden der Maaßſtab des
Gluͤcks und der Macht. Nie arbeiteten auch ſo wie
hier die Schriftſteller den Practikern in die Hand;
was rechneten die Statiſtiker nicht aus? Und was
war bequemer fuͤr die Geſchaͤftsmaͤnner? Auf ei-
nem Blatt hatten ſie ja den ganzen Staat vor ſich!

Giebt es in dem ganzen Gebiet der Wiſſenſchaften eine
einzige, die zu einem ſo ganz hirnloſen Machwerk herabge-
wuͤrdigt waͤre, als die Statiſtik? Iſt Angabe der Zahl von
Menſchen und Vieh, iſt uͤberhaupt Zerlegung des Staats koͤr-
pers
ſchon Kunde des Staats? So waͤre auch der Ana-
tom ein Menſchenkenner, weil er Cadaver ſecirt!

68. Wenn uͤbrigens gleich in der Politik wie in der
Staatswirthſchaft das Herkommen herrſchend blieb,

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[413/0451] 1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786. rung, das, wenn es herrſchend wurde, den Sturz des beſtehenden Staatenſyſtems herbeyzufuͤhren droh- te. Je mehr die maſchinenmaͤßige Adminiſtration durch die Unterbrechung der Gebiete geſtoͤrt wurde, um deſto groͤßerer Werth ward auf die Arrondi- rung gelegt; und wohin die Sucht ſich zu arron- diren — bald die Quelle der Projecte der Cabinette — fuͤhren konnte, fuͤhren mußte, faͤllt in die Au- gen. Wo waren aber die Gefahren derſelben groͤ- ßer, als gerade in einem ſolchen Syſtem hoͤchſt ungleicher Staaten, als das Europaͤiſche war? 67. So erhielten die materiellen Kraͤfte der Staaten immer mehr ausſchließend einen Werth in den Augen der practiſchen Politik, und Qua- dratmeilen und Volkszahl wurden der Maaßſtab des Gluͤcks und der Macht. Nie arbeiteten auch ſo wie hier die Schriftſteller den Practikern in die Hand; was rechneten die Statiſtiker nicht aus? Und was war bequemer fuͤr die Geſchaͤftsmaͤnner? Auf ei- nem Blatt hatten ſie ja den ganzen Staat vor ſich! Giebt es in dem ganzen Gebiet der Wiſſenſchaften eine einzige, die zu einem ſo ganz hirnloſen Machwerk herabge- wuͤrdigt waͤre, als die Statiſtik? Iſt Angabe der Zahl von Menſchen und Vieh, iſt uͤberhaupt Zerlegung des Staats koͤr- pers ſchon Kunde des Staats? So waͤre auch der Ana- tom ein Menſchenkenner, weil er Cadaver ſecirt! 68. Wenn uͤbrigens gleich in der Politik wie in der Staatswirthſchaft das Herkommen herrſchend blieb, ſo

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Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/451>, abgerufen am 22.11.2024.