jedoch nur von Seiten desjenigen Theiles, in dessen Person der Mangel eines freien Consenses Statt fand.
Nicht minder kann sich der Promittent der übernommenen Ver- bindlichkeit entziehen:
wegen einer erst später eingetretenen aber noch andauernden, obwohl nur relativen, ihn betreffenden Unmöglichkeit der Erfül- lung,
insbesondere wegen eines Conflicts mit Pflichten gegen sich selbst, mit den Rechten und dem Wohle des Volkes, oder mit den Rechten Dritter, wenn z. B. das frühere schon zur Zeit des Ver- trages vorhandene Recht eines Dritten verletzt werden würde; ob- gleich hier der Promittent, welchem die Unmöglichkeit bereits zur Zeit des Vertrages bekannt war, für das Interesse haftet; 1 ferner:
wegen einer Veränderung derjenigen Umstände, welche zur Zeit des geschlossenen Vertrages schon vorhanden oder vorher- zusehen, und nach der erkennbaren Absicht des Verpflichteten die stillschweigende Bedingung des Vertrages waren. 2
Als eine solche Veränderung ist diejenige zu betrachten, wobei der Verpflichtete seine bisherige politische Stellung nicht behaupten könnte und sich namentlich in eine Ungleichheit gegen andere Staa- ten versetzen würde, die zur Zeit des Vertrages nicht existirte, auch nicht beabsichtigt war; 3 ferner wenn ein gewisses Ereigniß oder Verhältniß das Motiv des eingegangenen Vertrages war, selbiges aber entweder gar nicht eingetreten ist oder wieder aufgehört hat, z. B. eine Familienverbindung als Veranlassung einer Staatenal- liance, wo jene die stillschweigende Bedingung der letztern war.
Steht die Unmöglichkeit der Erfüllung oder die eingetretene Ver- änderung der Umstände nur einem Theile der übernommenen Ver- tragsverpflichtungen entgegen, so kann auch nur eine Modification
1 Vgl. v. Neumann §. 177. Klüber §. 144. 164. Not. e. Breuning l. c. §. 4. 10.
2 Die Völker oder Staatsgewalten sind nicht so Meister ihrer Schicksale, als sie die ihrer Angehörigen leiten und ordnen können. Die Annahme der stillschweigenden Bedingung: Rebus sic stantibus, ist daher in obiger Weise unvermeidlich. S. vorzüglich Sam. Cocceji, de clausula R. sic. st. Die übrige Literatur der Frage bei Klüber §. 165. not. a.
3 S. auch Schmelzing §. 403.
§. 98. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
jedoch nur von Seiten desjenigen Theiles, in deſſen Perſon der Mangel eines freien Conſenſes Statt fand.
Nicht minder kann ſich der Promittent der übernommenen Ver- bindlichkeit entziehen:
wegen einer erſt ſpäter eingetretenen aber noch andauernden, obwohl nur relativen, ihn betreffenden Unmöglichkeit der Erfül- lung,
insbeſondere wegen eines Conflicts mit Pflichten gegen ſich ſelbſt, mit den Rechten und dem Wohle des Volkes, oder mit den Rechten Dritter, wenn z. B. das frühere ſchon zur Zeit des Ver- trages vorhandene Recht eines Dritten verletzt werden würde; ob- gleich hier der Promittent, welchem die Unmöglichkeit bereits zur Zeit des Vertrages bekannt war, für das Intereſſe haftet; 1 ferner:
wegen einer Veränderung derjenigen Umſtände, welche zur Zeit des geſchloſſenen Vertrages ſchon vorhanden oder vorher- zuſehen, und nach der erkennbaren Abſicht des Verpflichteten die ſtillſchweigende Bedingung des Vertrages waren. 2
Als eine ſolche Veränderung iſt diejenige zu betrachten, wobei der Verpflichtete ſeine bisherige politiſche Stellung nicht behaupten könnte und ſich namentlich in eine Ungleichheit gegen andere Staa- ten verſetzen würde, die zur Zeit des Vertrages nicht exiſtirte, auch nicht beabſichtigt war; 3 ferner wenn ein gewiſſes Ereigniß oder Verhältniß das Motiv des eingegangenen Vertrages war, ſelbiges aber entweder gar nicht eingetreten iſt oder wieder aufgehört hat, z. B. eine Familienverbindung als Veranlaſſung einer Staatenal- liance, wo jene die ſtillſchweigende Bedingung der letztern war.
Steht die Unmöglichkeit der Erfüllung oder die eingetretene Ver- änderung der Umſtände nur einem Theile der übernommenen Ver- tragsverpflichtungen entgegen, ſo kann auch nur eine Modification
1 Vgl. v. Neumann §. 177. Klüber §. 144. 164. Not. e. Breuning l. c. §. 4. 10.
2 Die Völker oder Staatsgewalten ſind nicht ſo Meiſter ihrer Schickſale, als ſie die ihrer Angehörigen leiten und ordnen können. Die Annahme der ſtillſchweigenden Bedingung: Rebus sic stantibus, iſt daher in obiger Weiſe unvermeidlich. S. vorzüglich Sam. Cocceji, de clausula R. sic. st. Die übrige Literatur der Frage bei Klüber §. 165. not. a.
3 S. auch Schmelzing §. 403.
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[173/0197]
§. 98. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
jedoch nur von Seiten desjenigen Theiles, in deſſen Perſon der
Mangel eines freien Conſenſes Statt fand.
Nicht minder kann ſich der Promittent der übernommenen Ver-
bindlichkeit entziehen:
wegen einer erſt ſpäter eingetretenen aber noch andauernden,
obwohl nur relativen, ihn betreffenden Unmöglichkeit der Erfül-
lung,
insbeſondere wegen eines Conflicts mit Pflichten gegen ſich ſelbſt,
mit den Rechten und dem Wohle des Volkes, oder mit den
Rechten Dritter, wenn z. B. das frühere ſchon zur Zeit des Ver-
trages vorhandene Recht eines Dritten verletzt werden würde; ob-
gleich hier der Promittent, welchem die Unmöglichkeit bereits zur
Zeit des Vertrages bekannt war, für das Intereſſe haftet; 1 ferner:
wegen einer Veränderung derjenigen Umſtände, welche zur
Zeit des geſchloſſenen Vertrages ſchon vorhanden oder vorher-
zuſehen, und nach der erkennbaren Abſicht des Verpflichteten die
ſtillſchweigende Bedingung des Vertrages waren. 2
Als eine ſolche Veränderung iſt diejenige zu betrachten, wobei der
Verpflichtete ſeine bisherige politiſche Stellung nicht behaupten
könnte und ſich namentlich in eine Ungleichheit gegen andere Staa-
ten verſetzen würde, die zur Zeit des Vertrages nicht exiſtirte, auch
nicht beabſichtigt war; 3 ferner wenn ein gewiſſes Ereigniß oder
Verhältniß das Motiv des eingegangenen Vertrages war, ſelbiges
aber entweder gar nicht eingetreten iſt oder wieder aufgehört hat,
z. B. eine Familienverbindung als Veranlaſſung einer Staatenal-
liance, wo jene die ſtillſchweigende Bedingung der letztern war.
Steht die Unmöglichkeit der Erfüllung oder die eingetretene Ver-
änderung der Umſtände nur einem Theile der übernommenen Ver-
tragsverpflichtungen entgegen, ſo kann auch nur eine Modification
1 Vgl. v. Neumann §. 177. Klüber §. 144. 164. Not. e. Breuning l. c.
§. 4. 10.
2 Die Völker oder Staatsgewalten ſind nicht ſo Meiſter ihrer Schickſale,
als ſie die ihrer Angehörigen leiten und ordnen können. Die Annahme
der ſtillſchweigenden Bedingung: Rebus sic stantibus, iſt daher in obiger
Weiſe unvermeidlich. S. vorzüglich Sam. Cocceji, de clausula R. sic.
st. Die übrige Literatur der Frage bei Klüber §. 165. not. a.
3 S. auch Schmelzing §. 403.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/197>, abgerufen am 24.02.2025.
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