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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 122. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.

Ferner treten selbst die allgemeinen friedensrechtlichen Verhält-
nisse der Staaten während des Krieges nur insoweit außer Kraft,
als es Absicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert.
Das Recht auf Achtung kann selbst dem Feinde nicht abgesprochen
werden und wird im neueren Kriegsgebrauch besonders unter den
Souveränen nicht bei Seite gesetzt. Treue und Glauben darf man
auch unter den Waffen fordern.

Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht geleistet
ist, werden theils schon durch den Krieg, wenigstens für die Dauer
desselben, unmöglich gemacht, wenn ihre Voraussetzung ein Frie-
denszustand ist; theils können sie überhaupt nicht als fortwirkend
gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willensein-
heit, und die Möglichkeit einer Verständigung nach gleichem freien
Recht durch den Krieg unterbrochen ist, außerdem auch kein Völ-
kergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber
verbindet, vielmehr sie als aufgehoben oder suspendirt zu betrach-
ten scheint. Ob und welche davon mit dem künftigen Frieden wie-
deraufleben, wird sich im vierten Abschnitte dieses Buches heraus-
stellen. Ist die Erfüllung eines Vertrages bereits vor oder wäh-
rend des Krieges fällig geworden, so kann sich der glückliche Feind
freilich das Object oder Aequivalent davon mit eigener Willkühr
anzueignen suchen. Allein die Willkühr wird dadurch noch keine
rechtliche Thatsache; erst durch den Frieden kann sie diesen Cha-
racter erlangen.

Allgemeine Menschenrechte der Einzelnen werden an sich durch
den Krieg nicht aufgehoben. Sie unterliegen nur den Zufälligkei-
ten der Kriegsgeißel, welche ohne Wahl trifft, auch müssen sie sich
den Beschränkungen 1 unterwerfen, welche die kriegführenden Mächte
dem Verkehr ihrer Unterthanen unter Einander oder mit Neutra-
len zu setzen für gut finden. So weit dies nicht ausdrücklich ge-
schieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja selbst in der
Rechtsverfolgung derselben in Feindesland nach neuerem Kriegs-
recht keine Veränderung vermuthet werden. 2


1 Die meisten Beschränkungen treffen den Handel. Vgl. darüber den nächst-
folgenden §. 128.
2 Zachariä 40 B. vom Staat XXVIII, 7, 2. (IV. Bd. S. 103.)
§. 122. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.

Ferner treten ſelbſt die allgemeinen friedensrechtlichen Verhält-
niſſe der Staaten während des Krieges nur inſoweit außer Kraft,
als es Abſicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert.
Das Recht auf Achtung kann ſelbſt dem Feinde nicht abgeſprochen
werden und wird im neueren Kriegsgebrauch beſonders unter den
Souveränen nicht bei Seite geſetzt. Treue und Glauben darf man
auch unter den Waffen fordern.

Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht geleiſtet
iſt, werden theils ſchon durch den Krieg, wenigſtens für die Dauer
deſſelben, unmöglich gemacht, wenn ihre Vorausſetzung ein Frie-
denszuſtand iſt; theils können ſie überhaupt nicht als fortwirkend
gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willensein-
heit, und die Möglichkeit einer Verſtändigung nach gleichem freien
Recht durch den Krieg unterbrochen iſt, außerdem auch kein Völ-
kergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber
verbindet, vielmehr ſie als aufgehoben oder ſuspendirt zu betrach-
ten ſcheint. Ob und welche davon mit dem künftigen Frieden wie-
deraufleben, wird ſich im vierten Abſchnitte dieſes Buches heraus-
ſtellen. Iſt die Erfüllung eines Vertrages bereits vor oder wäh-
rend des Krieges fällig geworden, ſo kann ſich der glückliche Feind
freilich das Object oder Aequivalent davon mit eigener Willkühr
anzueignen ſuchen. Allein die Willkühr wird dadurch noch keine
rechtliche Thatſache; erſt durch den Frieden kann ſie dieſen Cha-
racter erlangen.

Allgemeine Menſchenrechte der Einzelnen werden an ſich durch
den Krieg nicht aufgehoben. Sie unterliegen nur den Zufälligkei-
ten der Kriegsgeißel, welche ohne Wahl trifft, auch müſſen ſie ſich
den Beſchränkungen 1 unterwerfen, welche die kriegführenden Mächte
dem Verkehr ihrer Unterthanen unter Einander oder mit Neutra-
len zu ſetzen für gut finden. So weit dies nicht ausdrücklich ge-
ſchieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja ſelbſt in der
Rechtsverfolgung derſelben in Feindesland nach neuerem Kriegs-
recht keine Veränderung vermuthet werden. 2


1 Die meiſten Beſchränkungen treffen den Handel. Vgl. darüber den nächſt-
folgenden §. 128.
2 Zachariä 40 B. vom Staat XXVIII, 7, 2. (IV. Bd. S. 103.)
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[207/0231] §. 122. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Ferner treten ſelbſt die allgemeinen friedensrechtlichen Verhält- niſſe der Staaten während des Krieges nur inſoweit außer Kraft, als es Abſicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert. Das Recht auf Achtung kann ſelbſt dem Feinde nicht abgeſprochen werden und wird im neueren Kriegsgebrauch beſonders unter den Souveränen nicht bei Seite geſetzt. Treue und Glauben darf man auch unter den Waffen fordern. Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht geleiſtet iſt, werden theils ſchon durch den Krieg, wenigſtens für die Dauer deſſelben, unmöglich gemacht, wenn ihre Vorausſetzung ein Frie- denszuſtand iſt; theils können ſie überhaupt nicht als fortwirkend gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willensein- heit, und die Möglichkeit einer Verſtändigung nach gleichem freien Recht durch den Krieg unterbrochen iſt, außerdem auch kein Völ- kergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber verbindet, vielmehr ſie als aufgehoben oder ſuspendirt zu betrach- ten ſcheint. Ob und welche davon mit dem künftigen Frieden wie- deraufleben, wird ſich im vierten Abſchnitte dieſes Buches heraus- ſtellen. Iſt die Erfüllung eines Vertrages bereits vor oder wäh- rend des Krieges fällig geworden, ſo kann ſich der glückliche Feind freilich das Object oder Aequivalent davon mit eigener Willkühr anzueignen ſuchen. Allein die Willkühr wird dadurch noch keine rechtliche Thatſache; erſt durch den Frieden kann ſie dieſen Cha- racter erlangen. Allgemeine Menſchenrechte der Einzelnen werden an ſich durch den Krieg nicht aufgehoben. Sie unterliegen nur den Zufälligkei- ten der Kriegsgeißel, welche ohne Wahl trifft, auch müſſen ſie ſich den Beſchränkungen 1 unterwerfen, welche die kriegführenden Mächte dem Verkehr ihrer Unterthanen unter Einander oder mit Neutra- len zu ſetzen für gut finden. So weit dies nicht ausdrücklich ge- ſchieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja ſelbſt in der Rechtsverfolgung derſelben in Feindesland nach neuerem Kriegs- recht keine Veränderung vermuthet werden. 2 1 Die meiſten Beſchränkungen treffen den Handel. Vgl. darüber den nächſt- folgenden §. 128. 2 Zachariä 40 B. vom Staat XXVIII, 7, 2. (IV. Bd. S. 103.)

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/231>, abgerufen am 29.11.2024.