Dennoch aber muß diese Theorie und Praxis aus dem Stand- punct des Rechts sehr bestritten, wenigstens modificirt werden. Wird doch schon auf allen Seiten zugegeben, daß durch Zahlung des Schuldners an einen Andern außer dem wahren Gläubiger, oder durch eine sonstige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht des wahren Gläubigers streng juristisch nicht aufgehoben werde!
Vor allen Dingen muß man von den unkörperlichen Sachen diejenigen absondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als bloße Accessorien persönlicher Forderungen bestehen; jene haben die Natur des unbeweglichen Eigenthums, mit welchen sie auch vielfach zusammen hängen, wie z. B. Servituten, und theilen da- her auch das Schicksal des unbeweglichen Eigenthums im Kriege, wovon zuvor gehandelt worden ist. Unter den persönlichen For- derungen giebt es sodann einige, welche das Surrogat von Ei- genthumsnutzungen sind, wie z. B. Pachtgelder. Bei diesen mag nicht bestritten werden, daß sie dem Feinde verfallen, welcher sich der fruchttragenden Sache bemächtigt hat, weil es nur allein von ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner gestatten wolle und durch die factische Fortbelassung derselben ein eigener Pacht- oder Miethsvertrag zwischen dem Feinde und dem bisherigen Ge- brauchsberechtigten geschlossen wird. 1 Dagegen widerstreitet es der Natur aller anderen persönlichen Forderungen durchaus, sich dieselben als Gegenstand einer thatsächlichen Besitzergreifung, wie doch die occupatio bellica an sich ist, zu denken; selbst der zu- fällige Besitz der Schuldverschreibungen giebt, wie man allgemein einverstanden ist und sein muß, kein Recht auf Einziehung der Schuld; 2 eine persönliche Forderung ist eben etwas unkörperliches, besteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwischen Gläubiger und Schuldner; das Recht des Ersteren kann auf einen Dritten nur mit seinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Ge- walt übertragen werden, wofür, wenigstens so lange der Krieg mit seinen wandelbaren Schicksalen schwebt, eine feindliche Gewalt nicht gehalten werden kann. Nöthigt sie den Schuldner zu zahlen, so
Tittmann, über den Bund der Amphict. 1812. S. 135. Man erfährt nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian construirt man sich den Inhalt nach Belieben.
1Ziegler de iurib. majestat. 1, 33, §. ult.
2 Vgl. v. Kamptz a. a. O. §. 8.
Zweites Buch. §. 134.
Dennoch aber muß dieſe Theorie und Praxis aus dem Stand- punct des Rechts ſehr beſtritten, wenigſtens modificirt werden. Wird doch ſchon auf allen Seiten zugegeben, daß durch Zahlung des Schuldners an einen Andern außer dem wahren Gläubiger, oder durch eine ſonſtige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht des wahren Gläubigers ſtreng juriſtiſch nicht aufgehoben werde!
Vor allen Dingen muß man von den unkörperlichen Sachen diejenigen abſondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als bloße Acceſſorien perſönlicher Forderungen beſtehen; jene haben die Natur des unbeweglichen Eigenthums, mit welchen ſie auch vielfach zuſammen hängen, wie z. B. Servituten, und theilen da- her auch das Schickſal des unbeweglichen Eigenthums im Kriege, wovon zuvor gehandelt worden iſt. Unter den perſönlichen For- derungen giebt es ſodann einige, welche das Surrogat von Ei- genthumsnutzungen ſind, wie z. B. Pachtgelder. Bei dieſen mag nicht beſtritten werden, daß ſie dem Feinde verfallen, welcher ſich der fruchttragenden Sache bemächtigt hat, weil es nur allein von ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner geſtatten wolle und durch die factiſche Fortbelaſſung derſelben ein eigener Pacht- oder Miethsvertrag zwiſchen dem Feinde und dem bisherigen Ge- brauchsberechtigten geſchloſſen wird. 1 Dagegen widerſtreitet es der Natur aller anderen perſönlichen Forderungen durchaus, ſich dieſelben als Gegenſtand einer thatſächlichen Beſitzergreifung, wie doch die occupatio bellica an ſich iſt, zu denken; ſelbſt der zu- fällige Beſitz der Schuldverſchreibungen giebt, wie man allgemein einverſtanden iſt und ſein muß, kein Recht auf Einziehung der Schuld; 2 eine perſönliche Forderung iſt eben etwas unkörperliches, beſteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwiſchen Gläubiger und Schuldner; das Recht des Erſteren kann auf einen Dritten nur mit ſeinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Ge- walt übertragen werden, wofür, wenigſtens ſo lange der Krieg mit ſeinen wandelbaren Schickſalen ſchwebt, eine feindliche Gewalt nicht gehalten werden kann. Nöthigt ſie den Schuldner zu zahlen, ſo
Tittmann, über den Bund der Amphict. 1812. S. 135. Man erfährt nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian conſtruirt man ſich den Inhalt nach Belieben.
1Ziegler de iurib. majestat. 1, 33, §. ult.
2 Vgl. v. Kamptz a. a. O. §. 8.
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Zweites Buch. §. 134.
Dennoch aber muß dieſe Theorie und Praxis aus dem Stand-
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Wird doch ſchon auf allen Seiten zugegeben, daß durch Zahlung des
Schuldners an einen Andern außer dem wahren Gläubiger, oder
durch eine ſonſtige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht
des wahren Gläubigers ſtreng juriſtiſch nicht aufgehoben werde!
Vor allen Dingen muß man von den unkörperlichen Sachen
diejenigen abſondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als
bloße Acceſſorien perſönlicher Forderungen beſtehen; jene haben
die Natur des unbeweglichen Eigenthums, mit welchen ſie auch
vielfach zuſammen hängen, wie z. B. Servituten, und theilen da-
her auch das Schickſal des unbeweglichen Eigenthums im Kriege,
wovon zuvor gehandelt worden iſt. Unter den perſönlichen For-
derungen giebt es ſodann einige, welche das Surrogat von Ei-
genthumsnutzungen ſind, wie z. B. Pachtgelder. Bei dieſen mag
nicht beſtritten werden, daß ſie dem Feinde verfallen, welcher ſich
der fruchttragenden Sache bemächtigt hat, weil es nur allein von
ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner geſtatten wolle
und durch die factiſche Fortbelaſſung derſelben ein eigener Pacht-
oder Miethsvertrag zwiſchen dem Feinde und dem bisherigen Ge-
brauchsberechtigten geſchloſſen wird. 1 Dagegen widerſtreitet es
der Natur aller anderen perſönlichen Forderungen durchaus, ſich
dieſelben als Gegenſtand einer thatſächlichen Beſitzergreifung, wie
doch die occupatio bellica an ſich iſt, zu denken; ſelbſt der zu-
fällige Beſitz der Schuldverſchreibungen giebt, wie man allgemein
einverſtanden iſt und ſein muß, kein Recht auf Einziehung der
Schuld; 2 eine perſönliche Forderung iſt eben etwas unkörperliches,
beſteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwiſchen Gläubiger
und Schuldner; das Recht des Erſteren kann auf einen Dritten
nur mit ſeinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Ge-
walt übertragen werden, wofür, wenigſtens ſo lange der Krieg mit
ſeinen wandelbaren Schickſalen ſchwebt, eine feindliche Gewalt nicht
gehalten werden kann. Nöthigt ſie den Schuldner zu zahlen, ſo
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1 Ziegler de iurib. majestat. 1, 33, §. ult.
2 Vgl. v. Kamptz a. a. O. §. 8.
3 Tittmann, über den Bund der Amphict. 1812. S. 135. Man erfährt
nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian conſtruirt man ſich den
Inhalt nach Belieben.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/250>, abgerufen am 16.07.2024.
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