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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 168. Völkerrecht im Zustande des Unfriedens.
oder autorisirten Personen, insbesondere Befehlshaber der bewaff-
neten Land- und Seemacht, und zwar selbst ohne ausdrücklichen
speciellen Auftrag, sodann die mit giltigen Markebriefen versehenen
Caper, wofern nicht auf den Gebrauch derselben gegen einzelne
Staaten verzichtet ist. 1 Das gewöhnliche Verfahren der Anhal-
tung und Untersuchung ist nun nach der Mehrzahl der hierüber
geschlossenen Verträge, welche sich vorzüglich dem pyrenäischen Frie-
den Artikel 17. als Muster angeschlossen haben, dieses: 2 der krieg-
führende Theil nähert sich dem zu durchsuchenden Schiff auf Kano-
nenschußweite, nachdem letzteres durch ein bestimmtes Signal (coup
d'assurance, semonce
) zum Innehalten seines Laufes aufgefor-
dert worden ist. Der anhaltende Theil sendet dann eine Scha-
luppe mit einer geringen Zahl von Leuten an Bord des fremden
Schiffes, oder er begnügt sich den fremden Schiffer mit den See-
briefen zu sich kommen zu lassen. Von wesentlicher Wichtigkeit
sind hierbei folgende Papiere:

die Pässe und etwanigen Ursprungscertificate über Schiffe und
Ladung,
die Connoissements und charte partie,
das Schiffmannschaftsverzeichniß,

endlich

das Reisejournal. 3

Ist in Verträgen nichts Genaueres festgesetzt, was für Papiere
vorgelegt werden sollen und welche Beschaffenheit sie haben müs-
sen, so ist unbedenklich als Grundsatz zu befolgen, daß es nur auf
die moralische Ueberzeugung von der Unverfänglichkeit eines neu-
tralen Schiffseigenthums und seiner Ladung ankomme und daß
dabei nicht etwa subtile Beweisgrundsätze entscheiden können; ja,
die eigenen Landesgesetze des durchsuchenden Theiles müssen in die-
sem Sinne verstanden werden. 4 Erst wenn sich aus den Papie-

1 Dies war der Fall in den Verträgen Großbritanniens mit den nordischen
Mächten vom Jahre 1801 in Bezug auf convoiirte Schiffe. (§. 170.)
2 v. Martens, über Caper §. 20. 21.
3 Ueber alle diese Papiere, die dabei anzuwendende Vorsicht, die Praxis der
Engländer und Franzosen, vgl. Jacobsen Seerecht S. 22. 67. 87. 410 f.
4 Zu Grundsätzen dieser Art hat sich vorzüglich die französische Prisen-
praxis neuerer Zeit unter dem Einfluß der so noblen, wie billigen Re-
quisitorien von Portalis bekannt. Siehe übrigens auch v. Martens über

§. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
oder autoriſirten Perſonen, insbeſondere Befehlshaber der bewaff-
neten Land- und Seemacht, und zwar ſelbſt ohne ausdrücklichen
ſpeciellen Auftrag, ſodann die mit giltigen Markebriefen verſehenen
Caper, wofern nicht auf den Gebrauch derſelben gegen einzelne
Staaten verzichtet iſt. 1 Das gewöhnliche Verfahren der Anhal-
tung und Unterſuchung iſt nun nach der Mehrzahl der hierüber
geſchloſſenen Verträge, welche ſich vorzüglich dem pyrenäiſchen Frie-
den Artikel 17. als Muſter angeſchloſſen haben, dieſes: 2 der krieg-
führende Theil nähert ſich dem zu durchſuchenden Schiff auf Kano-
nenſchußweite, nachdem letzteres durch ein beſtimmtes Signal (coup
d’assurance, semonce
) zum Innehalten ſeines Laufes aufgefor-
dert worden iſt. Der anhaltende Theil ſendet dann eine Scha-
luppe mit einer geringen Zahl von Leuten an Bord des fremden
Schiffes, oder er begnügt ſich den fremden Schiffer mit den See-
briefen zu ſich kommen zu laſſen. Von weſentlicher Wichtigkeit
ſind hierbei folgende Papiere:

die Päſſe und etwanigen Urſprungscertificate über Schiffe und
Ladung,
die Connoiſſements und charte partie,
das Schiffmannſchaftsverzeichniß,

endlich

das Reiſejournal. 3

Iſt in Verträgen nichts Genaueres feſtgeſetzt, was für Papiere
vorgelegt werden ſollen und welche Beſchaffenheit ſie haben müſ-
ſen, ſo iſt unbedenklich als Grundſatz zu befolgen, daß es nur auf
die moraliſche Ueberzeugung von der Unverfänglichkeit eines neu-
tralen Schiffseigenthums und ſeiner Ladung ankomme und daß
dabei nicht etwa ſubtile Beweisgrundſätze entſcheiden können; ja,
die eigenen Landesgeſetze des durchſuchenden Theiles müſſen in die-
ſem Sinne verſtanden werden. 4 Erſt wenn ſich aus den Papie-

1 Dies war der Fall in den Verträgen Großbritanniens mit den nordiſchen
Mächten vom Jahre 1801 in Bezug auf convoiirte Schiffe. (§. 170.)
2 v. Martens, über Caper §. 20. 21.
3 Ueber alle dieſe Papiere, die dabei anzuwendende Vorſicht, die Praxis der
Engländer und Franzoſen, vgl. Jacobſen Seerecht S. 22. 67. 87. 410 f.
4 Zu Grundſätzen dieſer Art hat ſich vorzüglich die franzöſiſche Priſen-
praxis neuerer Zeit unter dem Einfluß der ſo noblen, wie billigen Re-
quiſitorien von Portalis bekannt. Siehe übrigens auch v. Martens über
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[285/0309] §. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens. oder autoriſirten Perſonen, insbeſondere Befehlshaber der bewaff- neten Land- und Seemacht, und zwar ſelbſt ohne ausdrücklichen ſpeciellen Auftrag, ſodann die mit giltigen Markebriefen verſehenen Caper, wofern nicht auf den Gebrauch derſelben gegen einzelne Staaten verzichtet iſt. 1 Das gewöhnliche Verfahren der Anhal- tung und Unterſuchung iſt nun nach der Mehrzahl der hierüber geſchloſſenen Verträge, welche ſich vorzüglich dem pyrenäiſchen Frie- den Artikel 17. als Muſter angeſchloſſen haben, dieſes: 2 der krieg- führende Theil nähert ſich dem zu durchſuchenden Schiff auf Kano- nenſchußweite, nachdem letzteres durch ein beſtimmtes Signal (coup d’assurance, semonce) zum Innehalten ſeines Laufes aufgefor- dert worden iſt. Der anhaltende Theil ſendet dann eine Scha- luppe mit einer geringen Zahl von Leuten an Bord des fremden Schiffes, oder er begnügt ſich den fremden Schiffer mit den See- briefen zu ſich kommen zu laſſen. Von weſentlicher Wichtigkeit ſind hierbei folgende Papiere: die Päſſe und etwanigen Urſprungscertificate über Schiffe und Ladung, die Connoiſſements und charte partie, das Schiffmannſchaftsverzeichniß, endlich das Reiſejournal. 3 Iſt in Verträgen nichts Genaueres feſtgeſetzt, was für Papiere vorgelegt werden ſollen und welche Beſchaffenheit ſie haben müſ- ſen, ſo iſt unbedenklich als Grundſatz zu befolgen, daß es nur auf die moraliſche Ueberzeugung von der Unverfänglichkeit eines neu- tralen Schiffseigenthums und ſeiner Ladung ankomme und daß dabei nicht etwa ſubtile Beweisgrundſätze entſcheiden können; ja, die eigenen Landesgeſetze des durchſuchenden Theiles müſſen in die- ſem Sinne verſtanden werden. 4 Erſt wenn ſich aus den Papie- 1 Dies war der Fall in den Verträgen Großbritanniens mit den nordiſchen Mächten vom Jahre 1801 in Bezug auf convoiirte Schiffe. (§. 170.) 2 v. Martens, über Caper §. 20. 21. 3 Ueber alle dieſe Papiere, die dabei anzuwendende Vorſicht, die Praxis der Engländer und Franzoſen, vgl. Jacobſen Seerecht S. 22. 67. 87. 410 f. 4 Zu Grundſätzen dieſer Art hat ſich vorzüglich die franzöſiſche Priſen- praxis neuerer Zeit unter dem Einfluß der ſo noblen, wie billigen Re- quiſitorien von Portalis bekannt. Siehe übrigens auch v. Martens über

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/309>, abgerufen am 27.11.2024.