§. 194. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.
Man kann demnach unterscheiden ein Land- und Seecerimonial, oder noch genauer: ein rein persönliches bei persönlicher Annäherung, ein schriftliches, insbesondere Canzleicerimonial, endlich ein Seecerimonial. Alles beruht hierbei auf willkührlichen Gebräuchen. Ein Rechts- anspruch auf Befolgung derselben, mithin ein wahres internationa- les Cerimonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hin- sichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen be- ruhen, oder in einem so entschiedenen Herkommen, mit dessen Nicht- beobachtung die allgemeine Ueberzeugung die Idee einer Beleidigung verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen Rechtes steht das besondere Hofcerimonial, 1 welches jeder Souverän nach Belieben einrichten kann, wenn er nur das vorerwähnte Staa- tencerimonial nicht verletzt; sodann die sogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Re- gierungen und deren Vertreter untereinander zwanglos nur aus Freundschaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen ein- ander beobachten, wie z. B. die Notification freudiger oder trauriger Ereignisse, Beglückwünschungen, Beileidsbezeugun- gen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreisenden Souve- räns oder seiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung von Geschenken und Orden. So gewöhnlich dergleichen sein mag, und so oft aus der Unter- lassung in dem einen oder anderen Fall eine Mißstimmung hervor- gehen wird, so wenig kann daraus ohne Hinzutritt sonstiger Um- stände und Verhältniß eine Beleidigung hergeleitet werden; viel- mehr werden Vernachlässigungen der Höflichkeit nur zu einem glei- chen Verfahren veranlassen, niemals aber eine Forderung auf Ge- nugthuung begründen, wie sie bei der Verletzung eines wirklichen Cerimonialrechts zulässig ist.
Zunächst soll hier nun dasjenige, was außerhalb des schriftlichen
1 Ueber dieses vergl. das schon oben S. 98. Note 7. angeführte Hofrecht von Friedrich Carl v. Moser. Daneben s. J. J. Moser Versuche Th. I. c. 6. S. 331.
§. 194. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Man kann demnach unterſcheiden ein Land- und Seecerimonial, oder noch genauer: ein rein perſönliches bei perſönlicher Annäherung, ein ſchriftliches, insbeſondere Canzleicerimonial, endlich ein Seecerimonial. Alles beruht hierbei auf willkührlichen Gebräuchen. Ein Rechts- anſpruch auf Befolgung derſelben, mithin ein wahres internationa- les Cerimonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hin- ſichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen be- ruhen, oder in einem ſo entſchiedenen Herkommen, mit deſſen Nicht- beobachtung die allgemeine Ueberzeugung die Idee einer Beleidigung verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen Rechtes ſteht das beſondere Hofcerimonial, 1 welches jeder Souverän nach Belieben einrichten kann, wenn er nur das vorerwähnte Staa- tencerimonial nicht verletzt; ſodann die ſogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Re- gierungen und deren Vertreter untereinander zwanglos nur aus Freundſchaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen ein- ander beobachten, wie z. B. die Notification freudiger oder trauriger Ereigniſſe, Beglückwünſchungen, Beileidsbezeugun- gen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreiſenden Souve- räns oder ſeiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung von Geſchenken und Orden. So gewöhnlich dergleichen ſein mag, und ſo oft aus der Unter- laſſung in dem einen oder anderen Fall eine Mißſtimmung hervor- gehen wird, ſo wenig kann daraus ohne Hinzutritt ſonſtiger Um- ſtände und Verhältniß eine Beleidigung hergeleitet werden; viel- mehr werden Vernachläſſigungen der Höflichkeit nur zu einem glei- chen Verfahren veranlaſſen, niemals aber eine Forderung auf Ge- nugthuung begründen, wie ſie bei der Verletzung eines wirklichen Cerimonialrechts zuläſſig iſt.
Zunächſt ſoll hier nun dasjenige, was außerhalb des ſchriftlichen
1 Ueber dieſes vergl. das ſchon oben S. 98. Note 7. angeführte Hofrecht von Friedrich Carl v. Moſer. Daneben ſ. J. J. Moſer Verſuche Th. I. c. 6. S. 331.
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§. 194. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Man kann demnach unterſcheiden ein Land- und Seecerimonial,
oder noch genauer:
ein rein perſönliches bei perſönlicher Annäherung,
ein ſchriftliches, insbeſondere Canzleicerimonial,
endlich
ein Seecerimonial.
Alles beruht hierbei auf willkührlichen Gebräuchen. Ein Rechts-
anſpruch auf Befolgung derſelben, mithin ein wahres internationa-
les Cerimonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hin-
ſichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen be-
ruhen, oder in einem ſo entſchiedenen Herkommen, mit deſſen Nicht-
beobachtung die allgemeine Ueberzeugung die Idee einer Beleidigung
verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen
Rechtes ſteht
das beſondere Hofcerimonial, 1 welches jeder Souverän nach
Belieben einrichten kann, wenn er nur das vorerwähnte Staa-
tencerimonial nicht verletzt;
ſodann
die ſogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Re-
gierungen und deren Vertreter untereinander zwanglos nur
aus Freundſchaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen ein-
ander beobachten, wie z. B. die Notification freudiger oder
trauriger Ereigniſſe, Beglückwünſchungen, Beileidsbezeugun-
gen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreiſenden Souve-
räns oder ſeiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung
von Geſchenken und Orden.
So gewöhnlich dergleichen ſein mag, und ſo oft aus der Unter-
laſſung in dem einen oder anderen Fall eine Mißſtimmung hervor-
gehen wird, ſo wenig kann daraus ohne Hinzutritt ſonſtiger Um-
ſtände und Verhältniß eine Beleidigung hergeleitet werden; viel-
mehr werden Vernachläſſigungen der Höflichkeit nur zu einem glei-
chen Verfahren veranlaſſen, niemals aber eine Forderung auf Ge-
nugthuung begründen, wie ſie bei der Verletzung eines wirklichen
Cerimonialrechts zuläſſig iſt.
Zunächſt ſoll hier nun dasjenige, was außerhalb des ſchriftlichen
1 Ueber dieſes vergl. das ſchon oben S. 98. Note 7. angeführte Hofrecht
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/349>, abgerufen am 27.11.2024.
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