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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 219.

Reine Convenienzbesuche, die freilich kaum unterlassen werden
dürfen, sind vorab die Besuche oder Vorstellungen bei den Mitglie-
dern der souveränen Familie in monarchischen Staaten; sodann
bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten und bei den
Mitgliedern des diplomatischen Corps. In der letzteren Beziehung
ist sogar von einem Recht des ersten Besuches die Rede; Gesandte
erster Classe haben einen solchen gewöhnlich von dem Minister der
auswärtigen Angelegenheiten, gewiß auch von den bereits anwe-
senden Gliedern des diplomatischen Corps verlangt; dennoch aber
beruht hier alles auf bloßer Höflichkeit; ein Forderungsrecht ist
in keiner Weise begründet. 1

Specielle Rangrechte.

219. Die Aengstlichkeit, womit die Regierungen vormals ihre
Würde zu bewachen suchten, führte auch zu einer ängstlichen Be-
obachtung der Rangverhältnisse unter den diplomatischen Vertretern.
Die größere Geschmeidigkeit der jetzigen Zeit und Sitte macht es
möglich sie auf folgende Sätze zu beschränken:

I. unter Gesandten derselben Macht entscheidet über den Vor-
rang die Vorschrift des eigenen Souveräns und stillschwei-
gend die Ordnung in dem gemeinschaftlichen Creditiv;
II. unter Gesandten verschiedener Mächte entscheidet zunächst die
höhere Classe ohne Rücksicht auf den Rang der Souveräne;
III. unter Gesandten derselben Classe entschied sonst der Rang des
absendenden Souveräns oder das Verhältniß des fremden
Souveräns zu den einzelnen auswärtigen Regierungen. Das
Wiener Rangreglement der acht europäischen Mächte läßt
das Datum der amtlichen Bekanntmachung der Ankunft un-
ter den Mitgliedern derselben Classe entscheiden, vorbehaltlich
des Vorzuges, welchen wenigstens katholische Mächte über-
einstimmend den päpstlichen Gesandten derselben Classe ein-
räumen. Weder verwandschaftliche noch sonstige Familien-
verhältnisse sollen außerdem in Betracht kommen, so wenig
als die Benennung eines außerordentlichen Botschafters, Ge-
sandten und dergl. vor den sogenannten ordentlichen einen
Vorzug zu geben vermag;
IV. im eigenen Hause und als Wirth giebt man einem Gesand-
1 Vgl. Merlin sect. IV.
Drittes Buch. §. 219.

Reine Convenienzbeſuche, die freilich kaum unterlaſſen werden
dürfen, ſind vorab die Beſuche oder Vorſtellungen bei den Mitglie-
dern der ſouveränen Familie in monarchiſchen Staaten; ſodann
bei dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und bei den
Mitgliedern des diplomatiſchen Corps. In der letzteren Beziehung
iſt ſogar von einem Recht des erſten Beſuches die Rede; Geſandte
erſter Claſſe haben einen ſolchen gewöhnlich von dem Miniſter der
auswärtigen Angelegenheiten, gewiß auch von den bereits anwe-
ſenden Gliedern des diplomatiſchen Corps verlangt; dennoch aber
beruht hier alles auf bloßer Höflichkeit; ein Forderungsrecht iſt
in keiner Weiſe begründet. 1

Specielle Rangrechte.

219. Die Aengſtlichkeit, womit die Regierungen vormals ihre
Würde zu bewachen ſuchten, führte auch zu einer ängſtlichen Be-
obachtung der Rangverhältniſſe unter den diplomatiſchen Vertretern.
Die größere Geſchmeidigkeit der jetzigen Zeit und Sitte macht es
möglich ſie auf folgende Sätze zu beſchränken:

I. unter Geſandten derſelben Macht entſcheidet über den Vor-
rang die Vorſchrift des eigenen Souveraͤns und ſtillſchwei-
gend die Ordnung in dem gemeinſchaftlichen Creditiv;
II. unter Geſandten verſchiedener Mächte entſcheidet zunächſt die
höhere Claſſe ohne Rückſicht auf den Rang der Souveräne;
III. unter Geſandten derſelben Claſſe entſchied ſonſt der Rang des
abſendenden Souveräns oder das Verhältniß des fremden
Souveräns zu den einzelnen auswärtigen Regierungen. Das
Wiener Rangreglement der acht europäiſchen Mächte läßt
das Datum der amtlichen Bekanntmachung der Ankunft un-
ter den Mitgliedern derſelben Claſſe entſcheiden, vorbehaltlich
des Vorzuges, welchen wenigſtens katholiſche Mächte über-
einſtimmend den päpſtlichen Geſandten derſelben Claſſe ein-
räumen. Weder verwandſchaftliche noch ſonſtige Familien-
verhältniſſe ſollen außerdem in Betracht kommen, ſo wenig
als die Benennung eines außerordentlichen Botſchafters, Ge-
ſandten und dergl. vor den ſogenannten ordentlichen einen
Vorzug zu geben vermag;
IV. im eigenen Hauſe und als Wirth giebt man einem Geſand-
1 Vgl. Merlin sect. IV.
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[358/0382] Drittes Buch. §. 219. Reine Convenienzbeſuche, die freilich kaum unterlaſſen werden dürfen, ſind vorab die Beſuche oder Vorſtellungen bei den Mitglie- dern der ſouveränen Familie in monarchiſchen Staaten; ſodann bei dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und bei den Mitgliedern des diplomatiſchen Corps. In der letzteren Beziehung iſt ſogar von einem Recht des erſten Beſuches die Rede; Geſandte erſter Claſſe haben einen ſolchen gewöhnlich von dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, gewiß auch von den bereits anwe- ſenden Gliedern des diplomatiſchen Corps verlangt; dennoch aber beruht hier alles auf bloßer Höflichkeit; ein Forderungsrecht iſt in keiner Weiſe begründet. 1 Specielle Rangrechte. 219. Die Aengſtlichkeit, womit die Regierungen vormals ihre Würde zu bewachen ſuchten, führte auch zu einer ängſtlichen Be- obachtung der Rangverhältniſſe unter den diplomatiſchen Vertretern. Die größere Geſchmeidigkeit der jetzigen Zeit und Sitte macht es möglich ſie auf folgende Sätze zu beſchränken: I. unter Geſandten derſelben Macht entſcheidet über den Vor- rang die Vorſchrift des eigenen Souveraͤns und ſtillſchwei- gend die Ordnung in dem gemeinſchaftlichen Creditiv; II. unter Geſandten verſchiedener Mächte entſcheidet zunächſt die höhere Claſſe ohne Rückſicht auf den Rang der Souveräne; III. unter Geſandten derſelben Claſſe entſchied ſonſt der Rang des abſendenden Souveräns oder das Verhältniß des fremden Souveräns zu den einzelnen auswärtigen Regierungen. Das Wiener Rangreglement der acht europäiſchen Mächte läßt das Datum der amtlichen Bekanntmachung der Ankunft un- ter den Mitgliedern derſelben Claſſe entſcheiden, vorbehaltlich des Vorzuges, welchen wenigſtens katholiſche Mächte über- einſtimmend den päpſtlichen Geſandten derſelben Claſſe ein- räumen. Weder verwandſchaftliche noch ſonſtige Familien- verhältniſſe ſollen außerdem in Betracht kommen, ſo wenig als die Benennung eines außerordentlichen Botſchafters, Ge- ſandten und dergl. vor den ſogenannten ordentlichen einen Vorzug zu geben vermag; IV. im eigenen Hauſe und als Wirth giebt man einem Geſand- 1 Vgl. Merlin sect. IV.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/382>, abgerufen am 27.11.2024.