Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 237. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.
Selbstbeherrschung, scharfe Beobachtungsgabe, Vorsicht, nur nicht
bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit, Feinheit mit Würde,
ohne das Aussehen einer bloßen Puppe, Geistesgegenwart und Fer-
tigkeit unvorbereitet zu reden und zu handeln, Beredsamkeit ohne
Ueberladung aber mit Präcision.

Cardinaltugenden aller, sowohl der leitenden wie handelnden
Diplomaten, sind endlich:

Probität und Wahrheit --. Die Unwahrheit kann eine Zeitlang
Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht mit
Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidigt, siegt zuletzt.
Geistesgegenwart und Furchtlosigkeit ohne Uebermuth und Leicht-
sinn;
Unzugänglichkeit gegen Bestechungen aller Art;
Begeisterung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil
seines Staates und Souveräns ohne eigenen Ehrgeiz.

Der Diplomat muß wissen, daß er mehr im Stillen zu wirken
und sich an seinem Bewußtsein zu begnügen hat, als daß er sich
durch ein hervortretendes Handeln einen Anspruch auf Unsterblich-
keit zu erwerben vermag.

Ueber die Verantwortlichkeit der diplomatischen Agenten hat
ein gelehrter Publicist (Flassan) gesagt, und es ist ihm nachge-
sprochen worden: "man müsse sehr nachsichtig sein gegen die Irr-
thümer der Politik, wegen der Leichtigkeit darin zu verfallen." Aber
es darf dadurch nicht jede strenge Beurtheilung des Verfahrens
der politischen Organe niedergeschlagen werden. Denn sie dürfen
wenigstens nie vergessen, welche heilige Interessen ihnen obliegen;
wie sie daher auch die höchste Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer
Bestimmung verwenden müssen.

Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler.1

237. Kommt es auf Unterhandlungen mit einem fremden
Staate zu einem gewissen Zwecke an, so hat der damit beauftragte

1 Schriften, diesem Gegenstand vorzugsweise gewidmet, sind: Le parfait Am-
bassadeur par Don Antonio de Vera et de Cuniga, par Lancelotte.
Par.
1635 u. f. De Callieres, de la maniere de negocier avec les Sou-
verains. Par. 1716. n. e. II. t. Londr. 1750. Ryswick 1756. Pecquet,
de l'art de negocier avec les Souverains. Paris 1736. a la Haye 1738.
Mably, principes de negociation. Ibid.
1737. (später auch Einleitung zu
25

§. 237. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Selbſtbeherrſchung, ſcharfe Beobachtungsgabe, Vorſicht, nur nicht
bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit, Feinheit mit Würde,
ohne das Ausſehen einer bloßen Puppe, Geiſtesgegenwart und Fer-
tigkeit unvorbereitet zu reden und zu handeln, Beredſamkeit ohne
Ueberladung aber mit Präciſion.

Cardinaltugenden aller, ſowohl der leitenden wie handelnden
Diplomaten, ſind endlich:

Probität und Wahrheit —. Die Unwahrheit kann eine Zeitlang
Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht mit
Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidigt, ſiegt zuletzt.
Geiſtesgegenwart und Furchtloſigkeit ohne Uebermuth und Leicht-
ſinn;
Unzugänglichkeit gegen Beſtechungen aller Art;
Begeiſterung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil
ſeines Staates und Souveräns ohne eigenen Ehrgeiz.

Der Diplomat muß wiſſen, daß er mehr im Stillen zu wirken
und ſich an ſeinem Bewußtſein zu begnügen hat, als daß er ſich
durch ein hervortretendes Handeln einen Anſpruch auf Unſterblich-
keit zu erwerben vermag.

Ueber die Verantwortlichkeit der diplomatiſchen Agenten hat
ein gelehrter Publiciſt (Flaſſan) geſagt, und es iſt ihm nachge-
ſprochen worden: „man müſſe ſehr nachſichtig ſein gegen die Irr-
thümer der Politik, wegen der Leichtigkeit darin zu verfallen.“ Aber
es darf dadurch nicht jede ſtrenge Beurtheilung des Verfahrens
der politiſchen Organe niedergeſchlagen werden. Denn ſie dürfen
wenigſtens nie vergeſſen, welche heilige Intereſſen ihnen obliegen;
wie ſie daher auch die höchſte Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer
Beſtimmung verwenden müſſen.

Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler.1

237. Kommt es auf Unterhandlungen mit einem fremden
Staate zu einem gewiſſen Zwecke an, ſo hat der damit beauftragte

1 Schriften, dieſem Gegenſtand vorzugsweiſe gewidmet, ſind: Le parfait Am-
bassadeur par Don Antonio de Vera et de Cuniga, par Lancelotte.
Par.
1635 u. f. De Callières, de la manière de negocier avec les Sou-
verains. Par. 1716. n. é. II. t. Londr. 1750. Ryswick 1756. Pecquet,
de l’art de negocier avec les Souverains. Paris 1736. à la Haye 1738.
Mably, principes de négociation. Ibid.
1737. (ſpäter auch Einleitung zu
25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0409" n="385"/><fw place="top" type="header">§. 237. <hi rendition="#g">Die Formen des vo&#x0364;lkerrechtlichen Verkehres</hi>.</fw><lb/>
Selb&#x017F;tbeherr&#x017F;chung, &#x017F;charfe Beobachtungsgabe, Vor&#x017F;icht, nur nicht<lb/>
bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit, Feinheit mit Würde,<lb/>
ohne das Aus&#x017F;ehen einer bloßen Puppe, Gei&#x017F;tesgegenwart und Fer-<lb/>
tigkeit unvorbereitet zu reden und zu handeln, Bered&#x017F;amkeit ohne<lb/>
Ueberladung aber mit Präci&#x017F;ion.</p><lb/>
              <p>Cardinaltugenden aller, &#x017F;owohl der leitenden wie handelnden<lb/>
Diplomaten, &#x017F;ind endlich:</p><lb/>
              <list>
                <item>Probität und Wahrheit &#x2014;. Die Unwahrheit kann eine Zeitlang<lb/>
Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht mit<lb/>
Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidigt, &#x017F;iegt zuletzt.</item><lb/>
                <item>Gei&#x017F;tesgegenwart und Furchtlo&#x017F;igkeit ohne Uebermuth und Leicht-<lb/>
&#x017F;inn;</item><lb/>
                <item>Unzugänglichkeit gegen Be&#x017F;techungen aller Art;</item><lb/>
                <item>Begei&#x017F;terung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil<lb/>
&#x017F;eines Staates und Souveräns ohne eigenen Ehrgeiz.</item>
              </list><lb/>
              <p>Der Diplomat muß wi&#x017F;&#x017F;en, daß er mehr im Stillen zu wirken<lb/>
und &#x017F;ich an &#x017F;einem Bewußt&#x017F;ein zu begnügen hat, als daß er &#x017F;ich<lb/>
durch ein hervortretendes Handeln einen An&#x017F;pruch auf Un&#x017F;terblich-<lb/>
keit zu erwerben vermag.</p><lb/>
              <p>Ueber die Verantwortlichkeit der diplomati&#x017F;chen Agenten hat<lb/>
ein gelehrter Publici&#x017F;t (Fla&#x017F;&#x017F;an) ge&#x017F;agt, und es i&#x017F;t ihm nachge-<lb/>
&#x017F;prochen worden: &#x201E;man mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ehr nach&#x017F;ichtig &#x017F;ein gegen die Irr-<lb/>
thümer der Politik, wegen der Leichtigkeit darin zu verfallen.&#x201C; Aber<lb/>
es darf dadurch nicht jede &#x017F;trenge Beurtheilung des Verfahrens<lb/>
der politi&#x017F;chen Organe niederge&#x017F;chlagen werden. Denn &#x017F;ie dürfen<lb/>
wenig&#x017F;tens nie verge&#x017F;&#x017F;en, welche heilige Intere&#x017F;&#x017F;en ihnen obliegen;<lb/>
wie &#x017F;ie daher auch die höch&#x017F;te Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer<lb/>
Be&#x017F;timmung verwenden mü&#x017F;&#x017F;en.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler.<note xml:id="note-0409" next="#note-0410" place="foot" n="1">Schriften, die&#x017F;em Gegen&#x017F;tand vorzugswei&#x017F;e gewidmet, &#x017F;ind: <hi rendition="#aq">Le parfait Am-<lb/>
bassadeur par Don Antonio de Vera et de Cuniga, par Lancelotte.<lb/>
Par.</hi> 1635 u. f. <hi rendition="#aq">De Callières, de la manière de negocier avec les Sou-<lb/>
verains. Par. 1716. n. é. II. t. Londr. 1750. Ryswick 1756. Pecquet,<lb/>
de l&#x2019;art de negocier avec les Souverains. Paris 1736. à la Haye 1738.<lb/>
Mably, principes de négociation. Ibid.</hi> 1737. (&#x017F;päter auch Einleitung zu</note></head><lb/>
              <p>237. Kommt es auf Unterhandlungen mit einem fremden<lb/>
Staate zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Zwecke an, &#x017F;o hat der damit beauftragte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">25</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0409] §. 237. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. Selbſtbeherrſchung, ſcharfe Beobachtungsgabe, Vorſicht, nur nicht bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit, Feinheit mit Würde, ohne das Ausſehen einer bloßen Puppe, Geiſtesgegenwart und Fer- tigkeit unvorbereitet zu reden und zu handeln, Beredſamkeit ohne Ueberladung aber mit Präciſion. Cardinaltugenden aller, ſowohl der leitenden wie handelnden Diplomaten, ſind endlich: Probität und Wahrheit —. Die Unwahrheit kann eine Zeitlang Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht mit Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidigt, ſiegt zuletzt. Geiſtesgegenwart und Furchtloſigkeit ohne Uebermuth und Leicht- ſinn; Unzugänglichkeit gegen Beſtechungen aller Art; Begeiſterung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil ſeines Staates und Souveräns ohne eigenen Ehrgeiz. Der Diplomat muß wiſſen, daß er mehr im Stillen zu wirken und ſich an ſeinem Bewußtſein zu begnügen hat, als daß er ſich durch ein hervortretendes Handeln einen Anſpruch auf Unſterblich- keit zu erwerben vermag. Ueber die Verantwortlichkeit der diplomatiſchen Agenten hat ein gelehrter Publiciſt (Flaſſan) geſagt, und es iſt ihm nachge- ſprochen worden: „man müſſe ſehr nachſichtig ſein gegen die Irr- thümer der Politik, wegen der Leichtigkeit darin zu verfallen.“ Aber es darf dadurch nicht jede ſtrenge Beurtheilung des Verfahrens der politiſchen Organe niedergeſchlagen werden. Denn ſie dürfen wenigſtens nie vergeſſen, welche heilige Intereſſen ihnen obliegen; wie ſie daher auch die höchſte Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer Beſtimmung verwenden müſſen. Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler. 1 237. Kommt es auf Unterhandlungen mit einem fremden Staate zu einem gewiſſen Zwecke an, ſo hat der damit beauftragte 1 Schriften, dieſem Gegenſtand vorzugsweiſe gewidmet, ſind: Le parfait Am- bassadeur par Don Antonio de Vera et de Cuniga, par Lancelotte. Par. 1635 u. f. De Callières, de la manière de negocier avec les Sou- verains. Par. 1716. n. é. II. t. Londr. 1750. Ryswick 1756. Pecquet, de l’art de negocier avec les Souverains. Paris 1736. à la Haye 1738. Mably, principes de négociation. Ibid. 1737. (ſpäter auch Einleitung zu 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/409
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/409>, abgerufen am 28.11.2024.