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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 15.
das Eigenthum eines Anderen, selbst nicht des Staates sein, kein
Staat darf Sclaverei dulden. 1

15. Zergliedert man den Inhalt der menschlichen Freiheit, d. i.
der vernünftigen Existenz des Individuums näher, so lassen sich
weiter folgende Einzelrechte darin erkennen:

Erstens: Freie Wahl des Ortes der Existenz. Kein Mensch
ist zur Scholle eines bestimmten Staates unabänderlich geboren.
Das gemeinsame Vaterland ist die Erde; der Einzelne muß über-
all seine Heimath aufschlagen können, wo er sich am Meisten in
seiner Freiheit zu bewegen vermag; ja es kann Pflicht sein, sich
nach einer anderen Stelle der Erde zu begeben, um seine Freiheit
zu retten. Das Recht der Auswanderung ist also ein unentziehba-
res; nur selbstauferlegte oder verschuldete Verpflichtungen können
es beschränken; 2 nur moralische, nicht äußere Bande machen ein
Land zum Vaterlande.

Zweitens: Erhaltung und Entwickelung der physischen Per-
sönlichkeit; daher das Recht sich die Natur für die nothwendigen
und nützlichen Bedürfnisse des Lebens dienstbar zu machen, Eigen-
thum zu haben, es zu erhalten und zu erweitern in freiem Aus-
tausch mit anderen; ferner das Recht der Selbstfortpflanzung durch
Ehe und Kinderzeugung; alles in den Schranken der Sittlichkeit.

Drittens: das Recht der geistigen Persönlichkeit, als Mensch
auch geistig zu existiren und zu entwickeln; sich ein Wissen zu er-

1 Nur einzelne Analogien der Sclaverei finden sich noch im christlichen Europa.
Nicht sowohl der Staat erhält diese, als vielmehr der Egoismus der Leib-
herren. Sonst herrscht schon der Grundsatz vor: die Luft macht frei. So
in Frankreich, Großbritannien, mit einer kleinen Modification auch in Preu-
ßen. Ueber die allmählige Abschaffung der Sclaverei vgl. man Biot, l'abo-
lition de l'esclavage ancien. Par.
1841. Eine neue Aera hat für die
Abschaffung in Europäischen Colonien begonnen, namentlich seit der Engl.
Parl.-Acte 3. 4. Will. 4. c. 73, vom 1. Aug. 1834 an. Der Höhe-
punct der jetzigen Civilisation macht überflüßig, das Princip der Sclaverei
noch zu bekämpfen. Kein Theil des Menschengeschlechts hat eine Bestim-
mung dazu. Man vgl. Warnkönigs Bemerkungen in s. Rechtsphilosophie
S. 286. Foelix Revue etrangere t. IV et V. Esclavage et Traite des
N. p. Agenor de Gasparin. Par.
1838.
2 Die zuläßigen Beschränkungen s. in der Unterabth. 4. dieses Abschnitts.
Die ältere Staatstheorie und Praxis war bei dieser Frage sehr befangen.
Schriften s. in v. Kamptz Lit., §. 122. Heutzutage besteht im Princip kaum
noch ein Zweispalt. Selbst v. Haller erkennt es als ein fundamentales an.

Erſtes Buch. §. 15.
das Eigenthum eines Anderen, ſelbſt nicht des Staates ſein, kein
Staat darf Sclaverei dulden. 1

15. Zergliedert man den Inhalt der menſchlichen Freiheit, d. i.
der vernünftigen Exiſtenz des Individuums näher, ſo laſſen ſich
weiter folgende Einzelrechte darin erkennen:

Erſtens: Freie Wahl des Ortes der Exiſtenz. Kein Menſch
iſt zur Scholle eines beſtimmten Staates unabänderlich geboren.
Das gemeinſame Vaterland iſt die Erde; der Einzelne muß über-
all ſeine Heimath aufſchlagen können, wo er ſich am Meiſten in
ſeiner Freiheit zu bewegen vermag; ja es kann Pflicht ſein, ſich
nach einer anderen Stelle der Erde zu begeben, um ſeine Freiheit
zu retten. Das Recht der Auswanderung iſt alſo ein unentziehba-
res; nur ſelbſtauferlegte oder verſchuldete Verpflichtungen können
es beſchränken; 2 nur moraliſche, nicht äußere Bande machen ein
Land zum Vaterlande.

Zweitens: Erhaltung und Entwickelung der phyſiſchen Per-
ſönlichkeit; daher das Recht ſich die Natur für die nothwendigen
und nützlichen Bedürfniſſe des Lebens dienſtbar zu machen, Eigen-
thum zu haben, es zu erhalten und zu erweitern in freiem Aus-
tauſch mit anderen; ferner das Recht der Selbſtfortpflanzung durch
Ehe und Kinderzeugung; alles in den Schranken der Sittlichkeit.

Drittens: das Recht der geiſtigen Perſönlichkeit, als Menſch
auch geiſtig zu exiſtiren und zu entwickeln; ſich ein Wiſſen zu er-

1 Nur einzelne Analogien der Sclaverei finden ſich noch im chriſtlichen Europa.
Nicht ſowohl der Staat erhält dieſe, als vielmehr der Egoismus der Leib-
herren. Sonſt herrſcht ſchon der Grundſatz vor: die Luft macht frei. So
in Frankreich, Großbritannien, mit einer kleinen Modification auch in Preu-
ßen. Ueber die allmählige Abſchaffung der Sclaverei vgl. man Biot, l’abo-
lition de l’esclavage ancien. Par.
1841. Eine neue Aera hat für die
Abſchaffung in Europäiſchen Colonien begonnen, namentlich ſeit der Engl.
Parl.-Acte 3. 4. Will. 4. c. 73, vom 1. Aug. 1834 an. Der Höhe-
punct der jetzigen Civiliſation macht überflüßig, das Princip der Sclaverei
noch zu bekämpfen. Kein Theil des Menſchengeſchlechts hat eine Beſtim-
mung dazu. Man vgl. Warnkönigs Bemerkungen in ſ. Rechtsphiloſophie
S. 286. Foelix Revue étrangère t. IV et V. Esclavage et Traite des
N. p. Agenor de Gasparin. Par.
1838.
2 Die zuläßigen Beſchränkungen ſ. in der Unterabth. 4. dieſes Abſchnitts.
Die ältere Staatstheorie und Praxis war bei dieſer Frage ſehr befangen.
Schriften ſ. in v. Kamptz Lit., §. 122. Heutzutage beſteht im Princip kaum
noch ein Zweiſpalt. Selbſt v. Haller erkennt es als ein fundamentales an.
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[28/0052] Erſtes Buch. §. 15. das Eigenthum eines Anderen, ſelbſt nicht des Staates ſein, kein Staat darf Sclaverei dulden. 1 15. Zergliedert man den Inhalt der menſchlichen Freiheit, d. i. der vernünftigen Exiſtenz des Individuums näher, ſo laſſen ſich weiter folgende Einzelrechte darin erkennen: Erſtens: Freie Wahl des Ortes der Exiſtenz. Kein Menſch iſt zur Scholle eines beſtimmten Staates unabänderlich geboren. Das gemeinſame Vaterland iſt die Erde; der Einzelne muß über- all ſeine Heimath aufſchlagen können, wo er ſich am Meiſten in ſeiner Freiheit zu bewegen vermag; ja es kann Pflicht ſein, ſich nach einer anderen Stelle der Erde zu begeben, um ſeine Freiheit zu retten. Das Recht der Auswanderung iſt alſo ein unentziehba- res; nur ſelbſtauferlegte oder verſchuldete Verpflichtungen können es beſchränken; 2 nur moraliſche, nicht äußere Bande machen ein Land zum Vaterlande. Zweitens: Erhaltung und Entwickelung der phyſiſchen Per- ſönlichkeit; daher das Recht ſich die Natur für die nothwendigen und nützlichen Bedürfniſſe des Lebens dienſtbar zu machen, Eigen- thum zu haben, es zu erhalten und zu erweitern in freiem Aus- tauſch mit anderen; ferner das Recht der Selbſtfortpflanzung durch Ehe und Kinderzeugung; alles in den Schranken der Sittlichkeit. Drittens: das Recht der geiſtigen Perſönlichkeit, als Menſch auch geiſtig zu exiſtiren und zu entwickeln; ſich ein Wiſſen zu er- 1 Nur einzelne Analogien der Sclaverei finden ſich noch im chriſtlichen Europa. Nicht ſowohl der Staat erhält dieſe, als vielmehr der Egoismus der Leib- herren. Sonſt herrſcht ſchon der Grundſatz vor: die Luft macht frei. So in Frankreich, Großbritannien, mit einer kleinen Modification auch in Preu- ßen. Ueber die allmählige Abſchaffung der Sclaverei vgl. man Biot, l’abo- lition de l’esclavage ancien. Par. 1841. Eine neue Aera hat für die Abſchaffung in Europäiſchen Colonien begonnen, namentlich ſeit der Engl. Parl.-Acte 3. 4. Will. 4. c. 73, vom 1. Aug. 1834 an. Der Höhe- punct der jetzigen Civiliſation macht überflüßig, das Princip der Sclaverei noch zu bekämpfen. Kein Theil des Menſchengeſchlechts hat eine Beſtim- mung dazu. Man vgl. Warnkönigs Bemerkungen in ſ. Rechtsphiloſophie S. 286. Foelix Revue étrangère t. IV et V. Esclavage et Traite des N. p. Agenor de Gasparin. Par. 1838. 2 Die zuläßigen Beſchränkungen ſ. in der Unterabth. 4. dieſes Abſchnitts. Die ältere Staatstheorie und Praxis war bei dieſer Frage ſehr befangen. Schriften ſ. in v. Kamptz Lit., §. 122. Heutzutage beſteht im Princip kaum noch ein Zweiſpalt. Selbſt v. Haller erkennt es als ein fundamentales an.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/52>, abgerufen am 22.11.2024.