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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 23.
gemäß kann es eigentlich nur in dem Schutz der vollkom-
menen Unabhängigkeit des Schutzstaats gegen andere Mächte
bestehen, welchem aber selbstredend die Pflicht desselben zur
Seite liegt, sich in der äußeren Politik nicht von der des
schutzherrlichen Staates zu trennen, natürlich dann auch in
Beziehung auf sein inneres Verhalten die Weisungen des
Schutzherrn zu beachten, wenn dasselbe zu Vermittlungen mit
dem Auslande führen könnte. Alles Nähere hängt von den
getroffenen Vereinbarungen und rechtmäßiger Observanz ab.
Ein freiwillig übertragener oder übernommener Schutz ist an
sich zu jeder Zeit widerruflich. 1

23. Die Entstehung der Einzelstaaten in ihren mancherlei Nüan-
cen ist im Allgemeinen eine Thatsache des historischen, Processes.
Bald sind sie hervorgegangen aus dem Familien- und stammgenos-
senschaftlichen Leben, wie der alte patriarchalische Staat, bald aus
dem Einfluß religiöser Vorstellungen, wie der Priesterstaat; bald
aus der Thatkraft Einzelner, wie der alte Heroenstaat, später der
Imperatoren- und Feudalstaat; bald aus dem Willen Aller oder
doch einer kräftigen Majorität; im Altherthum vorzüglich auch durch
Colonisation mit Aufgebung des Mutterstaates; im Mittelalter durch
Usurpation, Eroberung und Erbtheilungen; in neuerer Zeit durch das
Selbständigwerden bisheriger Nebenländer mit Losreißung vom bis-
herigen Ganzen oder vom Mutterlande. Vollendet ist die Entste-
hung als Thatsache, sobald sich die schon oben §. 16. angezeigten
Elemente vorfinden: Ein Wille und die Kraft, sich als Staat zu
behaupten. Hiermit ist dann freilich auch schon für Andere eine
Nöthigung verbunden, jenen neuen Staat als Staat für sich be-
stehen zu lassen; allein erst dann ist nach den Grundsätzen der Ge-
rechtigkeit, denen das christliche Europäische Völkerrecht huldigt, die

Congreßacte Art. 6.; b) die Jonischen Inseln unter Britischem Protectorat,
nach dem Pariser Vertr. v. 5. Novbr. 1815 und der Constitut.-Acte vom
29. Decbr. 1817; c) die Fürstenthümer der Moldau und Wallachei, seit
dem Frieden v. Adrianopel 1829 unter Russischem Schutze; d) das Für-
stenthum Monaco, der Familie Grimaldi-Valentinois gehörig, seit dem Pa-
riser Frieden von 1815 unter Sardinischem Schutz und Besatzungsrecht; vor-
mals, seit 1641 bis zur Revolution, unter Französischem Schutz, noch früher
unter Spanischem. Vgl. Moser ausw. Staatsr. V, 3, 399. de Real, science
du Gouv. IV, 2, 3, 21. Murhard, N. Suppl. t. II. 1839. p.
343.
1 S. vorzüglich noch Vattel, I, §. 191 -- 199. Günther, Völkerr. I, 131.
Erſtes Buch. §. 23.
gemäß kann es eigentlich nur in dem Schutz der vollkom-
menen Unabhängigkeit des Schutzſtaats gegen andere Mächte
beſtehen, welchem aber ſelbſtredend die Pflicht deſſelben zur
Seite liegt, ſich in der äußeren Politik nicht von der des
ſchutzherrlichen Staates zu trennen, natürlich dann auch in
Beziehung auf ſein inneres Verhalten die Weiſungen des
Schutzherrn zu beachten, wenn daſſelbe zu Vermittlungen mit
dem Auslande führen könnte. Alles Nähere hängt von den
getroffenen Vereinbarungen und rechtmäßiger Obſervanz ab.
Ein freiwillig übertragener oder übernommener Schutz iſt an
ſich zu jeder Zeit widerruflich. 1

23. Die Entſtehung der Einzelſtaaten in ihren mancherlei Nüan-
cen iſt im Allgemeinen eine Thatſache des hiſtoriſchen, Proceſſes.
Bald ſind ſie hervorgegangen aus dem Familien- und ſtammgenoſ-
ſenſchaftlichen Leben, wie der alte patriarchaliſche Staat, bald aus
dem Einfluß religiöſer Vorſtellungen, wie der Prieſterſtaat; bald
aus der Thatkraft Einzelner, wie der alte Heroenſtaat, ſpäter der
Imperatoren- und Feudalſtaat; bald aus dem Willen Aller oder
doch einer kräftigen Majorität; im Altherthum vorzüglich auch durch
Coloniſation mit Aufgebung des Mutterſtaates; im Mittelalter durch
Uſurpation, Eroberung und Erbtheilungen; in neuerer Zeit durch das
Selbſtändigwerden bisheriger Nebenländer mit Losreißung vom bis-
herigen Ganzen oder vom Mutterlande. Vollendet iſt die Entſte-
hung als Thatſache, ſobald ſich die ſchon oben §. 16. angezeigten
Elemente vorfinden: Ein Wille und die Kraft, ſich als Staat zu
behaupten. Hiermit iſt dann freilich auch ſchon für Andere eine
Nöthigung verbunden, jenen neuen Staat als Staat für ſich be-
ſtehen zu laſſen; allein erſt dann iſt nach den Grundſätzen der Ge-
rechtigkeit, denen das chriſtliche Europäiſche Völkerrecht huldigt, die

Congreßacte Art. 6.; b) die Joniſchen Inſeln unter Britiſchem Protectorat,
nach dem Pariſer Vertr. v. 5. Novbr. 1815 und der Conſtitut.-Acte vom
29. Decbr. 1817; c) die Fürſtenthümer der Moldau und Wallachei, ſeit
dem Frieden v. Adrianopel 1829 unter Ruſſiſchem Schutze; d) das Für-
ſtenthum Monaco, der Familie Grimaldi-Valentinois gehörig, ſeit dem Pa-
riſer Frieden von 1815 unter Sardiniſchem Schutz und Beſatzungsrecht; vor-
mals, ſeit 1641 bis zur Revolution, unter Franzöſiſchem Schutz, noch früher
unter Spaniſchem. Vgl. Moſer ausw. Staatsr. V, 3, 399. de Real, science
du Gouv. IV, 2, 3, 21. Murhard, N. Suppl. t. II. 1839. p.
343.
1 S. vorzüglich noch Vattel, I, §. 191 — 199. Günther, Völkerr. I, 131.
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[38/0062] Erſtes Buch. §. 23. gemäß kann es eigentlich nur in dem Schutz der vollkom- menen Unabhängigkeit des Schutzſtaats gegen andere Mächte beſtehen, welchem aber ſelbſtredend die Pflicht deſſelben zur Seite liegt, ſich in der äußeren Politik nicht von der des ſchutzherrlichen Staates zu trennen, natürlich dann auch in Beziehung auf ſein inneres Verhalten die Weiſungen des Schutzherrn zu beachten, wenn daſſelbe zu Vermittlungen mit dem Auslande führen könnte. Alles Nähere hängt von den getroffenen Vereinbarungen und rechtmäßiger Obſervanz ab. Ein freiwillig übertragener oder übernommener Schutz iſt an ſich zu jeder Zeit widerruflich. 1 23. Die Entſtehung der Einzelſtaaten in ihren mancherlei Nüan- cen iſt im Allgemeinen eine Thatſache des hiſtoriſchen, Proceſſes. Bald ſind ſie hervorgegangen aus dem Familien- und ſtammgenoſ- ſenſchaftlichen Leben, wie der alte patriarchaliſche Staat, bald aus dem Einfluß religiöſer Vorſtellungen, wie der Prieſterſtaat; bald aus der Thatkraft Einzelner, wie der alte Heroenſtaat, ſpäter der Imperatoren- und Feudalſtaat; bald aus dem Willen Aller oder doch einer kräftigen Majorität; im Altherthum vorzüglich auch durch Coloniſation mit Aufgebung des Mutterſtaates; im Mittelalter durch Uſurpation, Eroberung und Erbtheilungen; in neuerer Zeit durch das Selbſtändigwerden bisheriger Nebenländer mit Losreißung vom bis- herigen Ganzen oder vom Mutterlande. Vollendet iſt die Entſte- hung als Thatſache, ſobald ſich die ſchon oben §. 16. angezeigten Elemente vorfinden: Ein Wille und die Kraft, ſich als Staat zu behaupten. Hiermit iſt dann freilich auch ſchon für Andere eine Nöthigung verbunden, jenen neuen Staat als Staat für ſich be- ſtehen zu laſſen; allein erſt dann iſt nach den Grundſätzen der Ge- rechtigkeit, denen das chriſtliche Europäiſche Völkerrecht huldigt, die 5 1 S. vorzüglich noch Vattel, I, §. 191 — 199. Günther, Völkerr. I, 131. 5 Congreßacte Art. 6.; b) die Joniſchen Inſeln unter Britiſchem Protectorat, nach dem Pariſer Vertr. v. 5. Novbr. 1815 und der Conſtitut.-Acte vom 29. Decbr. 1817; c) die Fürſtenthümer der Moldau und Wallachei, ſeit dem Frieden v. Adrianopel 1829 unter Ruſſiſchem Schutze; d) das Für- ſtenthum Monaco, der Familie Grimaldi-Valentinois gehörig, ſeit dem Pa- riſer Frieden von 1815 unter Sardiniſchem Schutz und Beſatzungsrecht; vor- mals, ſeit 1641 bis zur Revolution, unter Franzöſiſchem Schutz, noch früher unter Spaniſchem. Vgl. Moſer ausw. Staatsr. V, 3, 399. de Real, science du Gouv. IV, 2, 3, 21. Murhard, N. Suppl. t. II. 1839. p. 343.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/62>, abgerufen am 27.11.2024.