Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Quantität.
"Ich zieh sie ab, und du liegst ganz vor
mir."

Wenn auf jenes Aufbürgen und Aufthürmen von Zahlen
und Welten als auf eine Beschreibung der Ewig-
keit
der Werth gelegt wird, so wird übersehen, daß
der Dichter selbst dieses sogenannte schauderhafte Hin-
ausgehen für etwas vergebliches und hohles erklärt, und
daß er damit schließt, daß nur durch das Aufge-
ben
dieses leeren unendlichen Progresses das wahrhafte
Unendliche selbst zur Gegenwart vor ihn komme.

Bekanntlich thun sich auch die Astronomen auf
das Erhabene ihrer Wissenschaft gern darum viel zu Gute,
weil sie mit einer unermeßlichen Menge von Ster-
nen, mit so unermeßlichen Räumen und Zeiten zu
thun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die
für sich schon so groß sind, zu Einheiten dienen, welche
noch so vielmahl genommen, sich wieder zur Unbedeu-
tenheit verkürzen. Das schaale Erstaunen, dem sie sich
dabey überlassen, die abgeschmackten Hoffnungen, erst
noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu
reisen und ins Unermeßliche fort dergleichen neue
Kenntnisse zu erwerben, geben sie für ein Hauptmoment
der Vortreflichkeit ihrer Wissenschaft aus, -- welche al-
lerdings bewundernswürdig ist, aber nicht um der quan-
titativen Unendlichkeit willen, die in ihr vorkommt, son-
dern im Gegentheil um der Maaßverhältnisse und
der Gesetze willen, welche die Vernunft in diesen Ge-
genständen erkannt hat, und die das vernünftige Unend-
liche gegen jene unvernünftige Unendlichkeit sind.

Der Unendlichkeit, die sich auf die äussere sinnliche
Anschauung bezieht, setzt Kant die andere Unendlich-
keit gegenüber, wenn

"das
Quantitaͤt.
Ich zieh ſie ab, und du liegſt ganz vor
mir.“

Wenn auf jenes Aufbuͤrgen und Aufthuͤrmen von Zahlen
und Welten als auf eine Beſchreibung der Ewig-
keit
der Werth gelegt wird, ſo wird uͤberſehen, daß
der Dichter ſelbſt dieſes ſogenannte ſchauderhafte Hin-
ausgehen fuͤr etwas vergebliches und hohles erklaͤrt, und
daß er damit ſchließt, daß nur durch das Aufge-
ben
dieſes leeren unendlichen Progreſſes das wahrhafte
Unendliche ſelbſt zur Gegenwart vor ihn komme.

Bekanntlich thun ſich auch die Aſtronomen auf
das Erhabene ihrer Wiſſenſchaft gern darum viel zu Gute,
weil ſie mit einer unermeßlichen Menge von Ster-
nen, mit ſo unermeßlichen Raͤumen und Zeiten zu
thun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die
fuͤr ſich ſchon ſo groß ſind, zu Einheiten dienen, welche
noch ſo vielmahl genommen, ſich wieder zur Unbedeu-
tenheit verkuͤrzen. Das ſchaale Erſtaunen, dem ſie ſich
dabey uͤberlaſſen, die abgeſchmackten Hoffnungen, erſt
noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu
reiſen und ins Unermeßliche fort dergleichen neue
Kenntniſſe zu erwerben, geben ſie fuͤr ein Hauptmoment
der Vortreflichkeit ihrer Wiſſenſchaft aus, — welche al-
lerdings bewundernswuͤrdig iſt, aber nicht um der quan-
titativen Unendlichkeit willen, die in ihr vorkommt, ſon-
dern im Gegentheil um der Maaßverhaͤltniſſe und
der Geſetze willen, welche die Vernunft in dieſen Ge-
genſtaͤnden erkannt hat, und die das vernuͤnftige Unend-
liche gegen jene unvernuͤnftige Unendlichkeit ſind.

Der Unendlichkeit, die ſich auf die aͤuſſere ſinnliche
Anſchauung bezieht, ſetzt Kant die andere Unendlich-
keit gegenuͤber, wenn

„das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <lg type="poem">
                      <pb facs="#f0237" n="189"/>
                      <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Quantita&#x0364;t</hi>.</fw><lb/>
                      <l>&#x201E;<hi rendition="#g">Ich zieh &#x017F;ie ab, und du lieg&#x017F;t ganz vor</hi></l><lb/>
                      <l><hi rendition="#g">mir</hi>.&#x201C;</l>
                    </lg><lb/>
                    <p>Wenn auf jenes Aufbu&#x0364;rgen und Aufthu&#x0364;rmen von Zahlen<lb/>
und Welten als auf eine <hi rendition="#g">Be&#x017F;chreibung der Ewig-<lb/>
keit</hi> der Werth gelegt wird, &#x017F;o wird u&#x0364;ber&#x017F;ehen, daß<lb/>
der Dichter &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;es &#x017F;ogenannte &#x017F;chauderhafte Hin-<lb/>
ausgehen fu&#x0364;r etwas vergebliches und hohles erkla&#x0364;rt, und<lb/>
daß er damit &#x017F;chließt, daß nur <hi rendition="#g">durch das Aufge-<lb/>
ben</hi> die&#x017F;es leeren unendlichen Progre&#x017F;&#x017F;es das wahrhafte<lb/>
Unendliche &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">zur Gegenwart vor ihn</hi> komme.</p><lb/>
                    <p>Bekanntlich thun &#x017F;ich auch die <hi rendition="#g">A&#x017F;tronomen</hi> auf<lb/>
das Erhabene ihrer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gern darum viel zu Gute,<lb/>
weil &#x017F;ie mit einer <hi rendition="#g">unermeßlichen</hi> Menge von Ster-<lb/>
nen, mit &#x017F;o <hi rendition="#g">unermeßlichen</hi> Ra&#x0364;umen und Zeiten zu<lb/>
thun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;chon &#x017F;o groß &#x017F;ind, zu Einheiten dienen, welche<lb/>
noch &#x017F;o vielmahl genommen, &#x017F;ich wieder zur Unbedeu-<lb/>
tenheit verku&#x0364;rzen. Das &#x017F;chaale Er&#x017F;taunen, dem &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
dabey u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, die abge&#x017F;chmackten Hoffnungen, er&#x017F;t<lb/>
noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu<lb/>
rei&#x017F;en und ins Unermeßliche fort <hi rendition="#g">dergleichen</hi> neue<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e zu erwerben, geben &#x017F;ie fu&#x0364;r ein Hauptmoment<lb/>
der Vortreflichkeit ihrer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft aus, &#x2014; welche al-<lb/>
lerdings bewundernswu&#x0364;rdig i&#x017F;t, aber nicht um der quan-<lb/>
titativen Unendlichkeit willen, die in ihr vorkommt, &#x017F;on-<lb/>
dern im Gegentheil um der <hi rendition="#g">Maaßverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e</hi> und<lb/>
der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etze</hi> willen, welche die Vernunft in die&#x017F;en Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nden erkannt hat, und die das vernu&#x0364;nftige Unend-<lb/>
liche gegen jene unvernu&#x0364;nftige Unendlichkeit &#x017F;ind.</p><lb/>
                    <p>Der Unendlichkeit, die &#x017F;ich auf die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere &#x017F;innliche<lb/>
An&#x017F;chauung bezieht, &#x017F;etzt <hi rendition="#g">Kant</hi> die andere Unendlich-<lb/>
keit gegenu&#x0364;ber, wenn</p><lb/>
                    <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;das</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0237] Quantitaͤt. „Ich zieh ſie ab, und du liegſt ganz vor mir.“ Wenn auf jenes Aufbuͤrgen und Aufthuͤrmen von Zahlen und Welten als auf eine Beſchreibung der Ewig- keit der Werth gelegt wird, ſo wird uͤberſehen, daß der Dichter ſelbſt dieſes ſogenannte ſchauderhafte Hin- ausgehen fuͤr etwas vergebliches und hohles erklaͤrt, und daß er damit ſchließt, daß nur durch das Aufge- ben dieſes leeren unendlichen Progreſſes das wahrhafte Unendliche ſelbſt zur Gegenwart vor ihn komme. Bekanntlich thun ſich auch die Aſtronomen auf das Erhabene ihrer Wiſſenſchaft gern darum viel zu Gute, weil ſie mit einer unermeßlichen Menge von Ster- nen, mit ſo unermeßlichen Raͤumen und Zeiten zu thun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die fuͤr ſich ſchon ſo groß ſind, zu Einheiten dienen, welche noch ſo vielmahl genommen, ſich wieder zur Unbedeu- tenheit verkuͤrzen. Das ſchaale Erſtaunen, dem ſie ſich dabey uͤberlaſſen, die abgeſchmackten Hoffnungen, erſt noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu reiſen und ins Unermeßliche fort dergleichen neue Kenntniſſe zu erwerben, geben ſie fuͤr ein Hauptmoment der Vortreflichkeit ihrer Wiſſenſchaft aus, — welche al- lerdings bewundernswuͤrdig iſt, aber nicht um der quan- titativen Unendlichkeit willen, die in ihr vorkommt, ſon- dern im Gegentheil um der Maaßverhaͤltniſſe und der Geſetze willen, welche die Vernunft in dieſen Ge- genſtaͤnden erkannt hat, und die das vernuͤnftige Unend- liche gegen jene unvernuͤnftige Unendlichkeit ſind. Der Unendlichkeit, die ſich auf die aͤuſſere ſinnliche Anſchauung bezieht, ſetzt Kant die andere Unendlich- keit gegenuͤber, wenn „das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/237
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/237>, abgerufen am 24.11.2024.