Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
entbehrt so wenig der Materie zu einer wirklichen und
wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das
absolute Wahre, oder wenn man sich noch des Worts
Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie ist, --
eine Materie aber, der die Form nicht ein äusserliches
ist, da diese Materie vielmehr der reine Gedanke, somit
die absolute Form selbst ist. Die Logik ist sonach als das
System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen
Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit
selbst, wie sie ohne Hülle an für sich selbst ist; man kann
sich deßwegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstel-
lung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen, vor
der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes
ist.

Anaxagoras wird als derjenige gepriesen, der
zuerst den Gedanken ausgesprochen habe, daß der Nus,
der Gedanke
, das Princip der Welt, daß das Wesen
der Welt als der Gedanke zu bestimmen ist. Er hat da-
mit den Grund zu einer Intellectualansicht der Welt ge-
legt, deren reine Gestalt die Logik seyn muß. Es ist
in ihr nicht um ein Denken über Etwas, das für sich
ausser dem Denken zu Grunde läge, zu thun, um For-
men, welche bloße Merkmahle der Wahrheit abgeben soll-
ten; sondern die nothwendigen Formen und eigenen Be-
stimmungen des Denkens sind die höchste Wahrheit selbst.

Aber um diß in die Vorstellung wenigstens aufzu-
nehmen, ist die Meynung auf die Seite zu legen, als ob
die Wahrheit etwas Handgreifliches seyn müsse. Es ist
zum Beyspiel auch die sonderbare Art aufzugeben, die

Plato-

Einleitung.
entbehrt ſo wenig der Materie zu einer wirklichen und
wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das
abſolute Wahre, oder wenn man ſich noch des Worts
Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie iſt, —
eine Materie aber, der die Form nicht ein aͤuſſerliches
iſt, da dieſe Materie vielmehr der reine Gedanke, ſomit
die abſolute Form ſelbſt iſt. Die Logik iſt ſonach als das
Syſtem der reinen Vernunft, als das Reich des reinen
Gedankens zu faſſen. Dieſes Reich iſt die Wahrheit
ſelbſt, wie ſie ohne Huͤlle an fuͤr ſich ſelbſt iſt; man kann
ſich deßwegen ausdruͤcken, daß dieſer Inhalt die Darſtel-
lung Gottes iſt, wie er in ſeinem ewigen Weſen, vor
der Erſchaffung der Natur und eines endlichen Geiſtes
iſt.

Anaxagoras wird als derjenige geprieſen, der
zuerſt den Gedanken ausgeſprochen habe, daß der Nus,
der Gedanke
, das Princip der Welt, daß das Weſen
der Welt als der Gedanke zu beſtimmen iſt. Er hat da-
mit den Grund zu einer Intellectualanſicht der Welt ge-
legt, deren reine Geſtalt die Logik ſeyn muß. Es iſt
in ihr nicht um ein Denken uͤber Etwas, das fuͤr ſich
auſſer dem Denken zu Grunde laͤge, zu thun, um For-
men, welche bloße Merkmahle der Wahrheit abgeben ſoll-
ten; ſondern die nothwendigen Formen und eigenen Be-
ſtimmungen des Denkens ſind die hoͤchſte Wahrheit ſelbſt.

Aber um diß in die Vorſtellung wenigſtens aufzu-
nehmen, iſt die Meynung auf die Seite zu legen, als ob
die Wahrheit etwas Handgreifliches ſeyn muͤſſe. Es iſt
zum Beyſpiel auch die ſonderbare Art aufzugeben, die

Plato-
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="XIII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
entbehrt &#x017F;o wenig der Materie zu einer wirklichen und<lb/>
wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das<lb/>
ab&#x017F;olute Wahre, oder wenn man &#x017F;ich noch des Worts<lb/>
Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie i&#x017F;t, &#x2014;<lb/>
eine Materie aber, der die Form nicht ein a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliches<lb/>
i&#x017F;t, da die&#x017F;e Materie vielmehr der reine Gedanke, &#x017F;omit<lb/>
die ab&#x017F;olute Form &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t. Die Logik i&#x017F;t &#x017F;onach als das<lb/>
Sy&#x017F;tem der reinen Vernunft, als das Reich des reinen<lb/>
Gedankens zu fa&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;es Reich i&#x017F;t die Wahrheit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, wie &#x017F;ie ohne Hu&#x0364;lle an fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t; man kann<lb/>
&#x017F;ich deßwegen ausdru&#x0364;cken, daß die&#x017F;er Inhalt die Dar&#x017F;tel-<lb/>
lung Gottes i&#x017F;t, wie er in &#x017F;einem ewigen We&#x017F;en, vor<lb/>
der Er&#x017F;chaffung der Natur und eines endlichen Gei&#x017F;tes<lb/>
i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Anaxagoras</hi> wird als derjenige geprie&#x017F;en, der<lb/>
zuer&#x017F;t den Gedanken ausge&#x017F;prochen habe, daß der <hi rendition="#g">Nus,<lb/>
der Gedanke</hi>, das Princip der Welt, daß das We&#x017F;en<lb/>
der Welt als der Gedanke zu be&#x017F;timmen i&#x017F;t. Er hat da-<lb/>
mit den Grund zu einer Intellectualan&#x017F;icht der Welt ge-<lb/>
legt, deren reine Ge&#x017F;talt <hi rendition="#g">die Logik</hi> &#x017F;eyn muß. Es i&#x017F;t<lb/>
in ihr nicht um ein Denken u&#x0364;ber Etwas, das fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er dem Denken zu Grunde la&#x0364;ge, zu thun, um For-<lb/>
men, welche bloße Merkmahle der Wahrheit abgeben &#x017F;oll-<lb/>
ten; &#x017F;ondern die nothwendigen Formen und eigenen Be-<lb/>
&#x017F;timmungen des Denkens &#x017F;ind die ho&#x0364;ch&#x017F;te Wahrheit &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Aber um diß in die Vor&#x017F;tellung wenig&#x017F;tens aufzu-<lb/>
nehmen, i&#x017F;t die Meynung auf die Seite zu legen, als ob<lb/>
die Wahrheit etwas Handgreifliches &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Es i&#x017F;t<lb/>
zum Bey&#x017F;piel auch die &#x017F;onderbare Art aufzugeben, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Plato-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XIII/0033] Einleitung. entbehrt ſo wenig der Materie zu einer wirklichen und wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das abſolute Wahre, oder wenn man ſich noch des Worts Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie iſt, — eine Materie aber, der die Form nicht ein aͤuſſerliches iſt, da dieſe Materie vielmehr der reine Gedanke, ſomit die abſolute Form ſelbſt iſt. Die Logik iſt ſonach als das Syſtem der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu faſſen. Dieſes Reich iſt die Wahrheit ſelbſt, wie ſie ohne Huͤlle an fuͤr ſich ſelbſt iſt; man kann ſich deßwegen ausdruͤcken, daß dieſer Inhalt die Darſtel- lung Gottes iſt, wie er in ſeinem ewigen Weſen, vor der Erſchaffung der Natur und eines endlichen Geiſtes iſt. Anaxagoras wird als derjenige geprieſen, der zuerſt den Gedanken ausgeſprochen habe, daß der Nus, der Gedanke, das Princip der Welt, daß das Weſen der Welt als der Gedanke zu beſtimmen iſt. Er hat da- mit den Grund zu einer Intellectualanſicht der Welt ge- legt, deren reine Geſtalt die Logik ſeyn muß. Es iſt in ihr nicht um ein Denken uͤber Etwas, das fuͤr ſich auſſer dem Denken zu Grunde laͤge, zu thun, um For- men, welche bloße Merkmahle der Wahrheit abgeben ſoll- ten; ſondern die nothwendigen Formen und eigenen Be- ſtimmungen des Denkens ſind die hoͤchſte Wahrheit ſelbſt. Aber um diß in die Vorſtellung wenigſtens aufzu- nehmen, iſt die Meynung auf die Seite zu legen, als ob die Wahrheit etwas Handgreifliches ſeyn muͤſſe. Es iſt zum Beyſpiel auch die ſonderbare Art aufzugeben, die Plato-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/33
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/33>, abgerufen am 21.11.2024.