Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Wirklichkeit.
liegende Sache in diesem Durchgange durch mehrere
Mittelglieder erleidet, verstekt die Identität, die sie darin
behält. Sie verknüpft sich zugleich in dieser Vervielfäl-
tigung der Ursachen, welche zwischen sie und die letzte
Wirkung eingetreten sind, mit andern Dingen und Um-
ständen, so daß nicht jenes Erste, was als Ursache aus-
gesprochen wird, sondern nur diese mehrere Ursachen zu-
sammen
die vollständige Wirkung enthalten. -- So
wenn z. B. ein Mensch dadurch unter Umstände kam, in
denen sich sein Talent entwickelte, daß er seinen Vater
verlor, den in einer Schlacht eine Kugel traf, so könnte
dieser Schuß, (oder noch weiter zurük der Krieg oder ei-
ne Ursache des Kriegs und so fort ins Unendliche) als
Ursache der Geschiklichkeit jenes Menschen angegeben wer-
den. Allein es erhellt, daß z. B. jener Schuß nicht für
sich diese Ursache ist, sondern nur die Verknüpfung des-
selben mit andern wirkenden Bestimmungen. Oder viel-
mehr ist er überhaupt nicht Ursache, sondern nur ein ein-
zelnes Moment, das zu den Umständen der
Möglichkeit
gehörte.

Denn hauptsächlich ist noch die unstatthafte
Anwendung
des Causalitätsverhältnisses auf Ver-
hältnisse des physisch-organischen
und des
geistigen Lebens
zu bemerken. Hier zeigt sich das,
was als Ursache genannt wird, freylich von anderem In-
halte als die Wirkung, darum aber, weil das, was
auf das Lebendige wirkt, von diesem selbstständig be-
stimmt, verändert und verwandelt wird, weil das
Lebendige die Ursache nicht zu ihrer Wir-
kung kommen läßt
, das heißt, sie als Ursache auf-
hebt. So ist es unstatthaft gesprochen, daß die Nahrung
die Ursache des Bluts, oder diese Speisen oder Kälte,
Nässe, Ursachen des Fiebers u. s. fort seyen; so un-
statthaft es ist, das jonische Clima als die Ursache

der

Die Wirklichkeit.
liegende Sache in dieſem Durchgange durch mehrere
Mittelglieder erleidet, verſtekt die Identitaͤt, die ſie darin
behaͤlt. Sie verknuͤpft ſich zugleich in dieſer Vervielfaͤl-
tigung der Urſachen, welche zwiſchen ſie und die letzte
Wirkung eingetreten ſind, mit andern Dingen und Um-
ſtaͤnden, ſo daß nicht jenes Erſte, was als Urſache aus-
geſprochen wird, ſondern nur dieſe mehrere Urſachen zu-
ſammen
die vollſtaͤndige Wirkung enthalten. — So
wenn z. B. ein Menſch dadurch unter Umſtaͤnde kam, in
denen ſich ſein Talent entwickelte, daß er ſeinen Vater
verlor, den in einer Schlacht eine Kugel traf, ſo koͤnnte
dieſer Schuß, (oder noch weiter zuruͤk der Krieg oder ei-
ne Urſache des Kriegs und ſo fort ins Unendliche) als
Urſache der Geſchiklichkeit jenes Menſchen angegeben wer-
den. Allein es erhellt, daß z. B. jener Schuß nicht fuͤr
ſich dieſe Urſache iſt, ſondern nur die Verknuͤpfung deſ-
ſelben mit andern wirkenden Beſtimmungen. Oder viel-
mehr iſt er uͤberhaupt nicht Urſache, ſondern nur ein ein-
zelnes Moment, das zu den Umſtaͤnden der
Moͤglichkeit
gehoͤrte.

Denn hauptſaͤchlich iſt noch die unſtatthafte
Anwendung
des Cauſalitaͤtsverhaͤltniſſes auf Ver-
haͤltniſſe des phyſiſch-organiſchen
und des
geiſtigen Lebens
zu bemerken. Hier zeigt ſich das,
was als Urſache genannt wird, freylich von anderem In-
halte als die Wirkung, darum aber, weil das, was
auf das Lebendige wirkt, von dieſem ſelbſtſtaͤndig be-
ſtimmt, veraͤndert und verwandelt wird, weil das
Lebendige die Urſache nicht zu ihrer Wir-
kung kommen laͤßt
, das heißt, ſie als Urſache auf-
hebt. So iſt es unſtatthaft geſprochen, daß die Nahrung
die Urſache des Bluts, oder dieſe Speiſen oder Kaͤlte,
Naͤſſe, Urſachen des Fiebers u. ſ. fort ſeyen; ſo un-
ſtatthaft es iſt, das joniſche Clima als die Urſache

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0279" n="267"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Wirklichkeit</hi>.</fw><lb/>
liegende Sache in die&#x017F;em Durchgange durch mehrere<lb/>
Mittelglieder erleidet, ver&#x017F;tekt die Identita&#x0364;t, die &#x017F;ie darin<lb/>
beha&#x0364;lt. Sie verknu&#x0364;pft &#x017F;ich zugleich in die&#x017F;er Vervielfa&#x0364;l-<lb/>
tigung der Ur&#x017F;achen, welche zwi&#x017F;chen &#x017F;ie und die letzte<lb/>
Wirkung eingetreten &#x017F;ind, mit andern Dingen und Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden, &#x017F;o daß nicht jenes Er&#x017F;te, was als Ur&#x017F;ache aus-<lb/>
ge&#x017F;prochen wird, &#x017F;ondern nur die&#x017F;e mehrere Ur&#x017F;achen <hi rendition="#g">zu-<lb/>
&#x017F;ammen</hi> die voll&#x017F;ta&#x0364;ndige Wirkung enthalten. &#x2014; So<lb/>
wenn z. B. ein Men&#x017F;ch dadurch unter Um&#x017F;ta&#x0364;nde kam, in<lb/>
denen &#x017F;ich &#x017F;ein Talent entwickelte, daß er &#x017F;einen Vater<lb/>
verlor, den in einer Schlacht eine Kugel traf, &#x017F;o ko&#x0364;nnte<lb/>
die&#x017F;er Schuß, (oder noch weiter zuru&#x0364;k der Krieg oder ei-<lb/>
ne Ur&#x017F;ache des Kriegs und &#x017F;o fort ins Unendliche) als<lb/>
Ur&#x017F;ache der Ge&#x017F;chiklichkeit jenes Men&#x017F;chen angegeben wer-<lb/>
den. Allein es erhellt, daß z. B. jener Schuß nicht fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e Ur&#x017F;ache i&#x017F;t, &#x017F;ondern nur die Verknu&#x0364;pfung de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben mit andern wirkenden Be&#x017F;timmungen. Oder viel-<lb/>
mehr i&#x017F;t er u&#x0364;berhaupt nicht Ur&#x017F;ache, &#x017F;ondern nur ein ein-<lb/>
zelnes <hi rendition="#g">Moment</hi>, das zu den <hi rendition="#g">Um&#x017F;ta&#x0364;nden der<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit</hi> geho&#x0364;rte.</p><lb/>
                  <p>Denn haupt&#x017F;a&#x0364;chlich i&#x017F;t noch die <hi rendition="#g">un&#x017F;tatthafte<lb/>
Anwendung</hi> des Cau&#x017F;alita&#x0364;tsverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;es auf <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e des phy&#x017F;i&#x017F;ch-organi&#x017F;chen</hi> und <hi rendition="#g">des<lb/>
gei&#x017F;tigen Lebens</hi> zu bemerken. Hier zeigt &#x017F;ich das,<lb/>
was als Ur&#x017F;ache genannt wird, freylich von anderem In-<lb/>
halte als die Wirkung, <hi rendition="#g">darum aber</hi>, weil das, was<lb/>
auf das Lebendige wirkt, von die&#x017F;em &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndig be-<lb/>
&#x017F;timmt, vera&#x0364;ndert und verwandelt wird, <hi rendition="#g">weil das<lb/>
Lebendige die Ur&#x017F;ache nicht zu ihrer Wir-<lb/>
kung kommen la&#x0364;ßt</hi>, das heißt, &#x017F;ie als Ur&#x017F;ache auf-<lb/>
hebt. So i&#x017F;t es un&#x017F;tatthaft ge&#x017F;prochen, daß die Nahrung<lb/>
die <hi rendition="#g">Ur&#x017F;ache</hi> des Bluts, oder die&#x017F;e Spei&#x017F;en oder Ka&#x0364;lte,<lb/>
Na&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, <hi rendition="#g">Ur&#x017F;achen</hi> des Fiebers u. &#x017F;. fort &#x017F;eyen; &#x017F;o un-<lb/>
&#x017F;tatthaft es i&#x017F;t, das joni&#x017F;che Clima als <hi rendition="#g">die Ur&#x017F;ache</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0279] Die Wirklichkeit. liegende Sache in dieſem Durchgange durch mehrere Mittelglieder erleidet, verſtekt die Identitaͤt, die ſie darin behaͤlt. Sie verknuͤpft ſich zugleich in dieſer Vervielfaͤl- tigung der Urſachen, welche zwiſchen ſie und die letzte Wirkung eingetreten ſind, mit andern Dingen und Um- ſtaͤnden, ſo daß nicht jenes Erſte, was als Urſache aus- geſprochen wird, ſondern nur dieſe mehrere Urſachen zu- ſammen die vollſtaͤndige Wirkung enthalten. — So wenn z. B. ein Menſch dadurch unter Umſtaͤnde kam, in denen ſich ſein Talent entwickelte, daß er ſeinen Vater verlor, den in einer Schlacht eine Kugel traf, ſo koͤnnte dieſer Schuß, (oder noch weiter zuruͤk der Krieg oder ei- ne Urſache des Kriegs und ſo fort ins Unendliche) als Urſache der Geſchiklichkeit jenes Menſchen angegeben wer- den. Allein es erhellt, daß z. B. jener Schuß nicht fuͤr ſich dieſe Urſache iſt, ſondern nur die Verknuͤpfung deſ- ſelben mit andern wirkenden Beſtimmungen. Oder viel- mehr iſt er uͤberhaupt nicht Urſache, ſondern nur ein ein- zelnes Moment, das zu den Umſtaͤnden der Moͤglichkeit gehoͤrte. Denn hauptſaͤchlich iſt noch die unſtatthafte Anwendung des Cauſalitaͤtsverhaͤltniſſes auf Ver- haͤltniſſe des phyſiſch-organiſchen und des geiſtigen Lebens zu bemerken. Hier zeigt ſich das, was als Urſache genannt wird, freylich von anderem In- halte als die Wirkung, darum aber, weil das, was auf das Lebendige wirkt, von dieſem ſelbſtſtaͤndig be- ſtimmt, veraͤndert und verwandelt wird, weil das Lebendige die Urſache nicht zu ihrer Wir- kung kommen laͤßt, das heißt, ſie als Urſache auf- hebt. So iſt es unſtatthaft geſprochen, daß die Nahrung die Urſache des Bluts, oder dieſe Speiſen oder Kaͤlte, Naͤſſe, Urſachen des Fiebers u. ſ. fort ſeyen; ſo un- ſtatthaft es iſt, das joniſche Clima als die Urſache der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/279
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/279>, abgerufen am 04.12.2024.