Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.Vorbericht. die Wahrheit selbst? -- Der Zweifel aber, obnicht dieser Gegenstand es eben sey, der einer Ent- schuldigung bedürfe, liegt nicht aus dem Wege, wenn man sich des Sinns erinnert, in welchem Pila- tus die Frage: was ist Wahrheit? sagte; -- nach dem Dichter: - - - - mit der Miene des Hofmanns, die kurzsichtig, doch lächelnd des Ernstes Sache verdammet. Jene Frage schließt dann den Sinn, der als ein Moment der Höflichkeit angesehen werden kann, und die Erinnerung daran in sich, daß das Ziel, die Wahrheit zu erkennen, etwas bekanntlich aufge- gebenes, längst abgethanes, und die Unerreichbarkeit der Wahrheit auch unter Philosophen und Logikern von Profession etwas anerkanntes sey? -- Wenn aber die Frage der Religion nach dem Werthe der Dinge, der Einsichten und Handlungen, die dem Inhalte nach, einen gleichen Sinn hat, in unsern Zeiten ihr Recht sich wieder mehr vindicirt, so muß wohl die Philosophie hoffen, daß es auch nicht mehr so * 3
Vorbericht. die Wahrheit ſelbſt? — Der Zweifel aber, obnicht dieſer Gegenſtand es eben ſey, der einer Ent- ſchuldigung beduͤrfe, liegt nicht aus dem Wege, wenn man ſich des Sinns erinnert, in welchem Pila- tus die Frage: was iſt Wahrheit? ſagte; — nach dem Dichter: ‒ ‒ ‒ ‒ mit der Miene des Hofmanns, die kurzſichtig, doch laͤchelnd des Ernſtes Sache verdammet. Jene Frage ſchließt dann den Sinn, der als ein Moment der Hoͤflichkeit angeſehen werden kann, und die Erinnerung daran in ſich, daß das Ziel, die Wahrheit zu erkennen, etwas bekanntlich aufge- gebenes, laͤngſt abgethanes, und die Unerreichbarkeit der Wahrheit auch unter Philoſophen und Logikern von Profeſſion etwas anerkanntes ſey? — Wenn aber die Frage der Religion nach dem Werthe der Dinge, der Einſichten und Handlungen, die dem Inhalte nach, einen gleichen Sinn hat, in unſern Zeiten ihr Recht ſich wieder mehr vindicirt, ſo muß wohl die Philoſophie hoffen, daß es auch nicht mehr ſo * 3
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Vorbericht.
die Wahrheit ſelbſt? — Der Zweifel aber, ob
nicht dieſer Gegenſtand es eben ſey, der einer Ent-
ſchuldigung beduͤrfe, liegt nicht aus dem Wege, wenn
man ſich des Sinns erinnert, in welchem Pila-
tus die Frage: was iſt Wahrheit? ſagte; —
nach dem Dichter:
‒ ‒ ‒ ‒ mit der Miene des Hofmanns,
die kurzſichtig, doch laͤchelnd des Ernſtes Sache
verdammet.
Jene Frage ſchließt dann den Sinn, der als ein
Moment der Hoͤflichkeit angeſehen werden kann,
und die Erinnerung daran in ſich, daß das Ziel,
die Wahrheit zu erkennen, etwas bekanntlich aufge-
gebenes, laͤngſt abgethanes, und die Unerreichbarkeit
der Wahrheit auch unter Philoſophen und Logikern
von Profeſſion etwas anerkanntes ſey? — Wenn
aber die Frage der Religion nach dem Werthe
der Dinge, der Einſichten und Handlungen, die dem
Inhalte nach, einen gleichen Sinn hat, in unſern
Zeiten ihr Recht ſich wieder mehr vindicirt, ſo muß
wohl die Philoſophie hoffen, daß es auch nicht mehr
ſo
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