Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.III. Kapitel. Der Schluß. das andere prädicirt werden kann, so ist der Schlußrichtig, der Schlußsatz aber falsch; weil vom Menschen, als dem Concreten ebensosehr auch der Medius Terminus der Geistigkeit gilt. -- Aus dem Medius Terminus der Schwere der Planeten, Trabanten und Cometen gegen die Sonne folgt richtig, daß diese Körper in die Sonne fallen; aber sie fallen nicht in sie, da sie ebensosehr für sich ein eigenes Centrum der Schwere sind, oder, wie man es nennt, von der Centrifugalkraft getrieben wer- den. So wie aus dem Medius Terminus der Sociali- tät die Gütergemeinschaft der Bürger gefolgert werden kann; aus dem Medius Terminus der Individualität aber, wenn er ebenso abstract verfolgt wird, die Auflö- sung des Staates folgt, wie sie z. B. im deutschen Reich erfolgt ist, indem sich an letztern Medius Terminus ge- halten worden. -- Es wird billig nichts für so unzurei- chend gehalten, als ein solcher formeller Schluß, weil er auf dem Zufall oder der Willkühr beruht, welcher Medius Terminus gebraucht wird. Wenn eine solche Deduction noch so schön durch Schlüsse sich verlauffen hat, und ihre Richtigkeit völlig zuzugeben ist, so führt diß noch im geringsten zu nichts, indem es immer übrig bleibt, daß noch andere Medii Termini sich finden, aus denen das gerade Gegentheil ebenso richtig abgeleitet werden kann. -- Die Kantischen Antinomieen der Vernunft sind nichts anderes, als daß aus einem Be- griffe einmal die eine Bestimmung desselben zu Grunde gelegt wird, das andremal aber eben so nothwendig die andere. -- Diese Unzureichenheit und Zufälligkeit eines Schlusses muß dabey nicht insofern bloß auf den In- halt geschoben werden, als ob sie von der Form unab- hängig sey, und diese allein die Logik angehe. Es liegt vielmehr in der Form des formalen Schlusses, daß der Inhalt eine so einseitige Qualität ist; er ist zu dieser Einseitigkeit durch jene abstracte Form bestimmt. Er ist
III. Kapitel. Der Schluß. das andere praͤdicirt werden kann, ſo iſt der Schlußrichtig, der Schlußſatz aber falſch; weil vom Menſchen, als dem Concreten ebenſoſehr auch der Medius Terminus der Geiſtigkeit gilt. — Aus dem Medius Terminus der Schwere der Planeten, Trabanten und Cometen gegen die Sonne folgt richtig, daß dieſe Koͤrper in die Sonne fallen; aber ſie fallen nicht in ſie, da ſie ebenſoſehr fuͤr ſich ein eigenes Centrum der Schwere ſind, oder, wie man es nennt, von der Centrifugalkraft getrieben wer- den. So wie aus dem Medius Terminus der Sociali- taͤt die Guͤtergemeinſchaft der Buͤrger gefolgert werden kann; aus dem Medius Terminus der Individualitaͤt aber, wenn er ebenſo abſtract verfolgt wird, die Aufloͤ- ſung des Staates folgt, wie ſie z. B. im deutſchen Reich erfolgt iſt, indem ſich an letztern Medius Terminus ge- halten worden. — Es wird billig nichts fuͤr ſo unzurei- chend gehalten, als ein ſolcher formeller Schluß, weil er auf dem Zufall oder der Willkuͤhr beruht, welcher Medius Terminus gebraucht wird. Wenn eine ſolche Deduction noch ſo ſchoͤn durch Schluͤſſe ſich verlauffen hat, und ihre Richtigkeit voͤllig zuzugeben iſt, ſo fuͤhrt diß noch im geringſten zu nichts, indem es immer uͤbrig bleibt, daß noch andere Medii Termini ſich finden, aus denen das gerade Gegentheil ebenſo richtig abgeleitet werden kann. — Die Kantiſchen Antinomieen der Vernunft ſind nichts anderes, als daß aus einem Be- griffe einmal die eine Beſtimmung deſſelben zu Grunde gelegt wird, das andremal aber eben ſo nothwendig die andere. — Dieſe Unzureichenheit und Zufaͤlligkeit eines Schluſſes muß dabey nicht inſofern bloß auf den In- halt geſchoben werden, als ob ſie von der Form unab- haͤngig ſey, und dieſe allein die Logik angehe. Es liegt vielmehr in der Form des formalen Schluſſes, daß der Inhalt eine ſo einſeitige Qualitaͤt iſt; er iſt zu dieſer Einſeitigkeit durch jene abſtracte Form beſtimmt. Er iſt
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III. Kapitel. Der Schluß.
das andere praͤdicirt werden kann, ſo iſt der Schluß
richtig, der Schlußſatz aber falſch; weil vom Menſchen,
als dem Concreten ebenſoſehr auch der Medius Terminus
der Geiſtigkeit gilt. — Aus dem Medius Terminus der
Schwere der Planeten, Trabanten und Cometen gegen
die Sonne folgt richtig, daß dieſe Koͤrper in die Sonne
fallen; aber ſie fallen nicht in ſie, da ſie ebenſoſehr fuͤr
ſich ein eigenes Centrum der Schwere ſind, oder, wie
man es nennt, von der Centrifugalkraft getrieben wer-
den. So wie aus dem Medius Terminus der Sociali-
taͤt die Guͤtergemeinſchaft der Buͤrger gefolgert werden
kann; aus dem Medius Terminus der Individualitaͤt
aber, wenn er ebenſo abſtract verfolgt wird, die Aufloͤ-
ſung des Staates folgt, wie ſie z. B. im deutſchen Reich
erfolgt iſt, indem ſich an letztern Medius Terminus ge-
halten worden. — Es wird billig nichts fuͤr ſo unzurei-
chend gehalten, als ein ſolcher formeller Schluß, weil
er auf dem Zufall oder der Willkuͤhr beruht, welcher
Medius Terminus gebraucht wird. Wenn eine ſolche
Deduction noch ſo ſchoͤn durch Schluͤſſe ſich verlauffen hat,
und ihre Richtigkeit voͤllig zuzugeben iſt, ſo fuͤhrt diß
noch im geringſten zu nichts, indem es immer uͤbrig
bleibt, daß noch andere Medii Termini ſich finden, aus
denen das gerade Gegentheil ebenſo richtig abgeleitet
werden kann. — Die Kantiſchen Antinomieen der
Vernunft ſind nichts anderes, als daß aus einem Be-
griffe einmal die eine Beſtimmung deſſelben zu Grunde
gelegt wird, das andremal aber eben ſo nothwendig die
andere. — Dieſe Unzureichenheit und Zufaͤlligkeit eines
Schluſſes muß dabey nicht inſofern bloß auf den In-
halt geſchoben werden, als ob ſie von der Form unab-
haͤngig ſey, und dieſe allein die Logik angehe. Es liegt
vielmehr in der Form des formalen Schluſſes, daß der
Inhalt eine ſo einſeitige Qualitaͤt iſt; er iſt zu dieſer
Einſeitigkeit durch jene abſtracte Form beſtimmt. Er
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