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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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III. Abschnitt. Idee.
Weg verlangt. -- Wenn bloß nach der Leichtigkeit
gefragt wird, so erhellt ohnehin von selbst, daß es dem
Erkennen leichter ist, die abstracte einfache Gedanken-
bestimmung zu fassen, als das Concrete, welches eine
vielfache Verknüpfung von solchen Gedankenbestimmun-
gen und deren Verhältnissen ist; und in dieser Art, nicht
mehr wie es in der Anschauung ist, soll es aufgefaßt
werden. An und für sich ist das Allgemeine das
erste Begriffsmoment, weil es das einfache ist, und
das Besondere erst das nachfolgende, weil es das Ver-
mittelte ist; und umgekehrt ist das Einfache das all-
gemeinere, und das Concrete als das in sich unterschie-
dene, hiemit Vermittelte, dasjenige, das den Uebergang
von einem Ersten schon voraussetzt. -- Diese Bemer-
kung betrifft nicht nur die Ordnung des Ganges in den
bestimmten Formen von Definitionen, Eintheilungen und
Sätzen, sondern auch die Ordnung des Erkennens im
Allgemeinen, und bloß in Rücksicht auf den Unterschied
von Abstractem und Concretem überhaupt. -- Daher
wird auch z. B. beym Lesenlernen vernünftigerweise,
nicht mit dem Lesen ganzer Worte oder auch der Sylben
der Anfang gemacht, sondern mit den Elementen der
Wörter und Sylben, und den Zeichen der abstracten
Töne; in der Buchstabenschrift ist die Analyse des con-
creten Wortes in seine abstracten Töne und deren Zei-
chen schon vollbracht, das Lesenlernen wird ebendadurch
eine erste Beschäftigung mit abstracten Gegenständen.
In der Geometrie ist nicht der Anfang mit einer
concreten Raumgestalt, sondern mit dem Punkte und der
Linie und dann weiter mit ebenen Figuren zu machen,
und unter diesen nicht mit Polygonen, sondern mit dem
Dreyecke, unter den krummen-Linien mit dem Kreise.
In der Physik sind die einzelnen Natureigenschaften
oder Materien von ihren mannichfaltigen Verwicklun-
gen, in denen sie sich in concreter Wirklichkeit befinden,

zu

III. Abſchnitt. Idee.
Weg verlangt. — Wenn bloß nach der Leichtigkeit
gefragt wird, ſo erhellt ohnehin von ſelbſt, daß es dem
Erkennen leichter iſt, die abſtracte einfache Gedanken-
beſtimmung zu faſſen, als das Concrete, welches eine
vielfache Verknuͤpfung von ſolchen Gedankenbeſtimmun-
gen und deren Verhaͤltniſſen iſt; und in dieſer Art, nicht
mehr wie es in der Anſchauung iſt, ſoll es aufgefaßt
werden. An und fuͤr ſich iſt das Allgemeine das
erſte Begriffsmoment, weil es das einfache iſt, und
das Beſondere erſt das nachfolgende, weil es das Ver-
mittelte iſt; und umgekehrt iſt das Einfache das all-
gemeinere, und das Concrete als das in ſich unterſchie-
dene, hiemit Vermittelte, dasjenige, das den Uebergang
von einem Erſten ſchon vorausſetzt. — Dieſe Bemer-
kung betrifft nicht nur die Ordnung des Ganges in den
beſtimmten Formen von Definitionen, Eintheilungen und
Saͤtzen, ſondern auch die Ordnung des Erkennens im
Allgemeinen, und bloß in Ruͤckſicht auf den Unterſchied
von Abſtractem und Concretem uͤberhaupt. — Daher
wird auch z. B. beym Leſenlernen vernuͤnftigerweiſe,
nicht mit dem Leſen ganzer Worte oder auch der Sylben
der Anfang gemacht, ſondern mit den Elementen der
Woͤrter und Sylben, und den Zeichen der abſtracten
Toͤne; in der Buchſtabenſchrift iſt die Analyſe des con-
creten Wortes in ſeine abſtracten Toͤne und deren Zei-
chen ſchon vollbracht, das Leſenlernen wird ebendadurch
eine erſte Beſchaͤftigung mit abſtracten Gegenſtaͤnden.
In der Geometrie iſt nicht der Anfang mit einer
concreten Raumgeſtalt, ſondern mit dem Punkte und der
Linie und dann weiter mit ebenen Figuren zu machen,
und unter dieſen nicht mit Polygonen, ſondern mit dem
Dreyecke, unter den krummen-Linien mit dem Kreiſe.
In der Phyſik ſind die einzelnen Natureigenſchaften
oder Materien von ihren mannichfaltigen Verwicklun-
gen, in denen ſie ſich in concreter Wirklichkeit befinden,

zu
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[338/0356] III. Abſchnitt. Idee. Weg verlangt. — Wenn bloß nach der Leichtigkeit gefragt wird, ſo erhellt ohnehin von ſelbſt, daß es dem Erkennen leichter iſt, die abſtracte einfache Gedanken- beſtimmung zu faſſen, als das Concrete, welches eine vielfache Verknuͤpfung von ſolchen Gedankenbeſtimmun- gen und deren Verhaͤltniſſen iſt; und in dieſer Art, nicht mehr wie es in der Anſchauung iſt, ſoll es aufgefaßt werden. An und fuͤr ſich iſt das Allgemeine das erſte Begriffsmoment, weil es das einfache iſt, und das Beſondere erſt das nachfolgende, weil es das Ver- mittelte iſt; und umgekehrt iſt das Einfache das all- gemeinere, und das Concrete als das in ſich unterſchie- dene, hiemit Vermittelte, dasjenige, das den Uebergang von einem Erſten ſchon vorausſetzt. — Dieſe Bemer- kung betrifft nicht nur die Ordnung des Ganges in den beſtimmten Formen von Definitionen, Eintheilungen und Saͤtzen, ſondern auch die Ordnung des Erkennens im Allgemeinen, und bloß in Ruͤckſicht auf den Unterſchied von Abſtractem und Concretem uͤberhaupt. — Daher wird auch z. B. beym Leſenlernen vernuͤnftigerweiſe, nicht mit dem Leſen ganzer Worte oder auch der Sylben der Anfang gemacht, ſondern mit den Elementen der Woͤrter und Sylben, und den Zeichen der abſtracten Toͤne; in der Buchſtabenſchrift iſt die Analyſe des con- creten Wortes in ſeine abſtracten Toͤne und deren Zei- chen ſchon vollbracht, das Leſenlernen wird ebendadurch eine erſte Beſchaͤftigung mit abſtracten Gegenſtaͤnden. In der Geometrie iſt nicht der Anfang mit einer concreten Raumgeſtalt, ſondern mit dem Punkte und der Linie und dann weiter mit ebenen Figuren zu machen, und unter dieſen nicht mit Polygonen, ſondern mit dem Dreyecke, unter den krummen-Linien mit dem Kreiſe. In der Phyſik ſind die einzelnen Natureigenſchaften oder Materien von ihren mannichfaltigen Verwicklun- gen, in denen ſie ſich in concreter Wirklichkeit befinden, zu

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/356>, abgerufen am 22.11.2024.