mik, die auf seine vermeynte Wirklichkeit geht und das bewusstlose Urtheilen der natürlichen Physiogno- mik zu einem Wissen erheben will, ist daher etwas end- und bodenloses, das nie dazu kommen kann, zu sagen, was es meynt, weil es nur meynt, und sein Inhalt nur gemeyntes ist.
Die Gesetze, welche diese Wissenschafft zu fin- den ausgeht, sind Beziehungen dieser beyden ge- meynten Seiten, und können daher selbst nichts als ein leeres Meynen seyn. Auch da diss vermeynte Wissen, das mit der Wirklichkeit des Geistes sich zu thun macht, gerade diss zu seinem Gegenstan- de hat, dass er aus seinem sinnlichen Daseyn heraus sich in sich reflectirt, und das bestimmte Daseyn für ihn eine gleichgültige Zufälligkeit ist, so muss es bey seinen aufgefundenen Gesetzen unmittelbar wissen, dass nichts damit gesagt ist, sondern eigentlich rein geschwatzt oder nur eine Meynung von sich gegeben wird; ein Ausdruck, der die Wahrheit hat diss als dasselbe auszusprechen, -- seine Meynung zu sagen und damit nicht die Sache, sondern nur eine Mey- nung von sich beyzubringen. Dem Inhalte nach aber können diese Beobachtungen nicht von denen ab- weichen: "Es regnet allemal, wenn wir Jahrmarkt haben, sagt der Krämer; und auch allemal wenn ich Wäsche trockne, sagt die Hausfrau."
Lichtenberg, der das physiognomische Beobach- ten so charakterisirt, sagt auch noch diss: "wenn je- mand sagte, du handelst zwar, wie ein ehrlicher
mik, die auf seine vermeynte Wirklichkeit geht und das bewuſstlose Urtheilen der natürlichen Physiogno- mik zu einem Wissen erheben will, ist daher etwas end- und bodenloses, das nie dazu kommen kann, zu sagen, was es meynt, weil es nur meynt, und sein Inhalt nur gemeyntes ist.
Die Gesetze, welche diese Wissenschafft zu fin- den ausgeht, sind Beziehungen dieser beyden ge- meynten Seiten, und können daher selbst nichts als ein leeres Meynen seyn. Auch da diſs vermeynte Wissen, das mit der Wirklichkeit des Geistes sich zu thun macht, gerade diſs zu seinem Gegenstan- de hat, daſs er aus seinem sinnlichen Daseyn heraus sich in sich reflectirt, und das bestimmte Daseyn für ihn eine gleichgültige Zufälligkeit ist, so muſs es bey seinen aufgefundenen Gesetzen unmittelbar wissen, daſs nichts damit gesagt ist, sondern eigentlich rein geschwatzt oder nur eine Meynung von sich gegeben wird; ein Ausdruck, der die Wahrheit hat diſs als dasselbe auszusprechen, — seine Meynung zu sagen und damit nicht die Sache, sondern nur eine Mey- nung von sich beyzubringen. Dem Inhalte nach aber können diese Beobachtungen nicht von denen ab- weichen: „Es regnet allemal, wenn wir Jahrmarkt haben, sagt der Krämer; und auch allemal wenn ich Wäsche trockne, sagt die Hausfrau.“
Lichtenberg, der das physiognomische Beobach- ten so charakterisirt, sagt auch noch diſs: „wenn je- mand sagte, du handelst zwar, wie ein ehrlicher
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mik, die auf seine vermeynte Wirklichkeit geht und
das bewuſstlose Urtheilen der natürlichen Physiogno-
mik zu einem Wissen erheben will, ist daher etwas
end- und bodenloses, das nie dazu kommen kann,
zu sagen, was es meynt, weil es nur meynt, und
sein Inhalt nur gemeyntes ist.
Die Gesetze, welche diese Wissenschafft zu fin-
den ausgeht, sind Beziehungen dieser beyden ge-
meynten Seiten, und können daher selbst nichts als
ein leeres Meynen seyn. Auch da diſs vermeynte
Wissen, das mit der Wirklichkeit des Geistes sich
zu thun macht, gerade diſs zu seinem Gegenstan-
de hat, daſs er aus seinem sinnlichen Daseyn heraus
sich in sich reflectirt, und das bestimmte Daseyn für
ihn eine gleichgültige Zufälligkeit ist, so muſs es bey
seinen aufgefundenen Gesetzen unmittelbar wissen,
daſs nichts damit gesagt ist, sondern eigentlich rein
geschwatzt oder nur eine Meynung von sich gegeben
wird; ein Ausdruck, der die Wahrheit hat diſs als
dasselbe auszusprechen, — seine Meynung zu sagen
und damit nicht die Sache, sondern nur eine Mey-
nung von sich beyzubringen. Dem Inhalte nach aber
können diese Beobachtungen nicht von denen ab-
weichen: „Es regnet allemal, wenn wir Jahrmarkt
haben, sagt der Krämer; und auch allemal wenn ich
Wäsche trockne, sagt die Hausfrau.“
Lichtenberg, der das physiognomische Beobach-
ten so charakterisirt, sagt auch noch diſs: „wenn je-
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/365>, abgerufen am 22.11.2024.
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