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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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heit des Geistes gegen dieses bestimmte Seyn des
Schädels. Denn von den beyden Gegenständen die-
ses Beobachtens ist der eine ein trockenes für sich
seyn
, eine knöcherne Eigenschafft des Geistes, wie
der andere ein trockenes an sich seyn; ein so knö-
chernes Ding als beyde sind, ist vollkommen gleich-
gültig gegen alles andere; es ist dem hohen Knor-
ren eben so gleichgültig, ob ein Mörder in seiner
Nachbarschafft, als dem Mörder, ob die Platt-
heit in seiner Nähe ist.

Es bleibt allerdings die Möglichkeit, dass mit ir-
gend einer Eigenschafft, Leidenschafft u. s. f. ein
Knorren an irgend einer Stelle verbunden sey, un-
überwindlich übrig. Man kann sich den Mörder mit
einem hohen Knorren hier an dieser Schädelstelle,
den Dieb mit einer dort, vorstellen. Von dieser
Seite ist die Schädelwissenschafft noch grosser Er-
weiterung fähig; denn zunächst scheint sie sich nur
auf die Verbindung eines Knorren mit einer Ei-
genschafft an demselben Individuum, so dass dieses
beyde besitzt, einzuschränken. Aber schon die na-
türliche Schädelwissenschafft, -- denn es muss so
gut eine solche, als eine natürliche Physiognomik
geben, -- geht über diese Schranke hinaus; sie ur-
theilt nicht nur, dass ein schlauer Mensch einen
faustdicken Knorren hinter den Ohren sitzen habe,
sondern sie stellt auch vor, dass die untreue Ehe-
frau nicht selbst, sondern das andre ehliche Indi-
viduum Knorren an der Stirne habe. -- Ebenso

S

heit des Geistes gegen dieses bestimmte Seyn des
Schädels. Denn von den beyden Gegenständen die-
ses Beobachtens ist der eine ein trockenes für sich
seyn
, eine knöcherne Eigenschafft des Geistes, wie
der andere ein trockenes an sich ſeyn; ein so knö-
chernes Ding als beyde sind, ist vollkommen gleich-
gültig gegen alles andere; es ist dem hohen Knor-
ren eben ſo gleichgültig, ob ein Mörder in seiner
Nachbarschafft, als dem Mörder, ob die Platt-
heit in seiner Nähe ist.

Es bleibt allerdings die Möglichkeit, daſs mit ir-
gend einer Eigenschafft, Leidenschafft u. s. f. ein
Knorren an irgend einer Stelle verbunden sey, un-
überwindlich übrig. Man kann sich den Mörder mit
einem hohen Knorren hier an dieser Schädelstelle,
den Dieb mit einer dort, vorstellen. Von dieser
Seite ist die Schädelwissenschafft noch groſser Er-
weiterung fähig; denn zunächst scheint sie sich nur
auf die Verbindung eines Knorren mit einer Ei-
genschafft an demselben Individuum, so daſs dieses
beyde besitzt, einzuschränken. Aber schon die na-
türliche Schädelwissenschafft, — denn es muſs so
gut eine solche, als eine natürliche Physiognomik
geben, — geht über diese Schranke hinaus; sie ur-
theilt nicht nur, daſs ein schlauer Mensch einen
faustdicken Knorren hinter den Ohren sitzen habe,
sondern sie stellt auch vor, daſs die untreue Ehe-
frau nicht selbst, sondern das andre ehliche Indi-
viduum Knorren an der Stirne habe. — Ebenso

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[273/0382] heit des Geistes gegen dieses bestimmte Seyn des Schädels. Denn von den beyden Gegenständen die- ses Beobachtens ist der eine ein trockenes für sich seyn, eine knöcherne Eigenschafft des Geistes, wie der andere ein trockenes an sich ſeyn; ein so knö- chernes Ding als beyde sind, ist vollkommen gleich- gültig gegen alles andere; es ist dem hohen Knor- ren eben ſo gleichgültig, ob ein Mörder in seiner Nachbarschafft, als dem Mörder, ob die Platt- heit in seiner Nähe ist. Es bleibt allerdings die Möglichkeit, daſs mit ir- gend einer Eigenschafft, Leidenschafft u. s. f. ein Knorren an irgend einer Stelle verbunden sey, un- überwindlich übrig. Man kann sich den Mörder mit einem hohen Knorren hier an dieser Schädelstelle, den Dieb mit einer dort, vorstellen. Von dieser Seite ist die Schädelwissenschafft noch groſser Er- weiterung fähig; denn zunächst scheint sie sich nur auf die Verbindung eines Knorren mit einer Ei- genschafft an demselben Individuum, so daſs dieses beyde besitzt, einzuschränken. Aber schon die na- türliche Schädelwissenschafft, — denn es muſs so gut eine solche, als eine natürliche Physiognomik geben, — geht über diese Schranke hinaus; sie ur- theilt nicht nur, daſs ein schlauer Mensch einen faustdicken Knorren hinter den Ohren sitzen habe, sondern sie stellt auch vor, daſs die untreue Ehe- frau nicht selbst, sondern das andre ehliche Indi- viduum Knorren an der Stirne habe. — Ebenso S

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/382>, abgerufen am 22.11.2024.