sey. Die sittliche Gesinnung besteht eben darin, un- verrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist, und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückfüh- rens desselben zu enthalten. -- Es wird ein Depo- situm bey mir gemacht; es ist das Eigenthum eines Andern, und ich anerkenne es, weil es so ist, und erhalte mich umwankend in diesem Verhältnisse. Behalte ich für mich das Depositum, so begehe ich nach dem Principe meines Prüffens, der Tavtologie, ganz und gar keinen Widerspruch; denn alsdenn sehe ich es nicht mehr für das Eigenthum eines An- dern an; etwas behalten, das ich nicht für das Ei- genthum eines Andern ansehe, ist vollkommen con- sequent. Die Aenderung der Ansicht ist kein Wider- spruch, denn es ist nicht um sie als Ansicht, son- dern um den Gegenstand und Inhalt zu thun, der sich nicht widersprechen soll. So sehr ich -- wie ich thue, wenn ich etwas wegschenke -- die An- sicht, dass etwas mein Eigenthum ist, in die An- sicht, dass es das Eigenthum eines Andern ist, ver- ändern kann, ohne dadurch eines Widerspruches schuldig zu werden, ebensosehr kann ich den um- gekehrten Weg gehen. -- Nicht darum also, weil ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht. Dass etwas das Eigenthum des Andern ist, diss liegt zum Grunde; darüber habe ich nicht zu räsonniren, noch mancherley Gedanken, Zusammenhänge, Rück- sichten aufzusuchen oder mir einfallen zu lassen; we-
sey. Die sittliche Gesinnung besteht eben darin, un- verrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist, und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückfüh- rens desselben zu enthalten. — Es wird ein Depo- situm bey mir gemacht; es ist das Eigenthum eines Andern, und ich anerkenne es, weil es so ist, und erhalte mich umwankend in diesem Verhältnisse. Behalte ich für mich das Depositum, so begehe ich nach dem Principe meines Prüffens, der Tavtologie, ganz und gar keinen Widerspruch; denn alsdenn sehe ich es nicht mehr für das Eigenthum eines An- dern an; etwas behalten, das ich nicht für das Ei- genthum eines Andern ansehe, ist vollkommen con- sequent. Die Aenderung der Ansicht ist kein Wider- spruch, denn es ist nicht um sie als Ansicht, son- dern um den Gegenstand und Inhalt zu thun, der sich nicht widersprechen soll. So sehr ich — wie ich thue, wenn ich etwas wegschenke — die An- sicht, daſs etwas mein Eigenthum ist, in die An- sicht, daſs es das Eigenthum eines Andern ist, ver- ändern kann, ohne dadurch eines Widerspruches schuldig zu werden, ebensosehr kann ich den um- gekehrten Weg gehen. — Nicht darum also, weil ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht. Daſs etwas das Eigenthum des Andern ist, diſs liegt zum Grunde; darüber habe ich nicht zu räsonniren, noch mancherley Gedanken, Zusammenhänge, Rück- sichten aufzusuchen oder mir einfallen zu lassen; we-
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sey. Die sittliche Gesinnung besteht eben darin, un-
verrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist,
und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückfüh-
rens desselben zu enthalten. — Es wird ein Depo-
situm bey mir gemacht; es ist das Eigenthum eines
Andern, und ich anerkenne es, weil es so ist, und
erhalte mich umwankend in diesem Verhältnisse.
Behalte ich für mich das Depositum, so begehe ich
nach dem Principe meines Prüffens, der Tavtologie,
ganz und gar keinen Widerspruch; denn alsdenn
sehe ich es nicht mehr für das Eigenthum eines An-
dern an; etwas behalten, das ich nicht für das Ei-
genthum eines Andern ansehe, ist vollkommen con-
sequent. Die Aenderung der Ansicht ist kein Wider-
spruch, denn es ist nicht um sie als Ansicht, son-
dern um den Gegenstand und Inhalt zu thun, der
sich nicht widersprechen soll. So sehr ich — wie
ich thue, wenn ich etwas wegschenke — die An-
sicht, daſs etwas mein Eigenthum ist, in die An-
sicht, daſs es das Eigenthum eines Andern ist, ver-
ändern kann, ohne dadurch eines Widerspruches
schuldig zu werden, ebensosehr kann ich den um-
gekehrten Weg gehen. — Nicht darum also, weil
ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es
Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht.
Daſs etwas das Eigenthum des Andern ist, diſs liegt
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/483>, abgerufen am 22.11.2024.
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