Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Gut genannte in seinem Wesen das Verkehrte seiner
selbst, so wie das Schlechte umgekehrt das Vortreff-
liche ist.

Ersetzt das einfache Bewusstseyn diesen geist-
losen Gedanken durch die Wirklichkeit des Vortreff-
lichen, indem es dasselbe in dem Beyspiele eines fin-
girten Falles, oder auch einer wahren Anekdote auf-
führt, und so zeigt, dass es kein leerer Nahme, son-
dern vorhanden ist, so steht die allgemeine Wirklich-
keit des verkehrten Thuns der ganzen realen Welt
entgegen, worin jenes Beyspiel also nur etwas ganz
vereinzelntes, eine Espece ausmacht; und das Da-
seyn des Guten und Edeln als eine einzelne Anek-
dote, sie sey fingirt oder wahr, darstellen, ist das
bitterste, was von ihm gesagt werden kann. -- For-
dert das einfache Bewusstseyn endlich die Auflösung
dieser ganzen Welt der Verkehrung, so kann es
nicht an das Individuum die Entfernung aus ihr fo-
dern, denn Diogenes im Fasse ist durch sie bedingt,
und die Foderung an den Einzelnen ist gerade das,
was für das Schlechte gilt, nemlich für sich als ein-
zelnen
zu sorgen. An die allgemeine Individualität
aber gerichtet kann die Foderung dieser Entfernung
nicht die Bedeutung haben, dass die Vernunft das
geistige gebildete Bewusstseyn, zu dem sie gekom-
men ist, wieder aufgebe, den ausgebreiteten Reich-
thum ihrer Momente in die Einfachheit des natür-
lichen Herzens zurückversenke, und in die Wild-
niss und Nähe des thierischen Bewusstseyns, welche

Gut genannte in seinem Wesen das Verkehrte seiner
selbſt, so wie das Schlechte umgekehrt das Vortreff-
liche ist.

Ersetzt das einfache Bewuſstseyn diesen geist-
losen Gedanken durch die Wirklichkeit des Vortreff-
lichen, indem es daſſelbe in dem Beyspiele eines fin-
girten Falles, oder auch einer wahren Anekdote auf-
führt, und so zeigt, daſs es kein leerer Nahme, son-
dern vorhanden ist, so ſteht die allgemeine Wirklich-
keit des verkehrten Thuns der ganzen realen Welt
entgegen, worin jenes Beyspiel alſo nur etwas ganz
vereinzelntes, eine Espece ausmacht; und das Da-
seyn des Guten und Edeln als eine einzelne Anek-
dote, sie sey fingirt oder wahr, darſtellen, ist das
bitterſte, was von ihm gesagt werden kann. — For-
dert das einfache Bewuſstseyn endlich die Auflöſung
dieſer ganzen Welt der Verkehrung, so kann es
nicht an das Individuum die Entfernung aus ihr fo-
dern, denn Diogenes im Faſſe ist durch sie bedingt,
und die Foderung an den Einzelnen ist gerade das,
was für das Schlechte gilt, nemlich für sich als ein-
zelnen
zu sorgen. An die allgemeine Individualität
aber gerichtet kann die Foderung dieſer Entfernung
nicht die Bedeutung haben, daſs die Vernunft das
geistige gebildete Bewuſstseyn, zu dem sie gekom-
men ist, wieder aufgebe, den ausgebreiteten Reich-
thum ihrer Momente in die Einfachheit des natür-
lichen Herzens zurückverſenke, und in die Wild-
niſs und Nähe des thierischen Bewuſstseyns, welche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0580" n="471"/>
Gut genannte in seinem Wesen das Verkehrte seiner<lb/>
selb&#x017F;t, so wie das <choice><sic>Schlechse</sic><corr>Schlechte</corr></choice> umgekehrt das Vortreff-<lb/>
liche ist.</p><lb/>
                <p>Ersetzt das einfache Bewu&#x017F;stseyn diesen geist-<lb/>
losen <hi rendition="#i">Gedanken</hi> durch die <hi rendition="#i">Wirklichkeit</hi> des Vortreff-<lb/>
lichen, indem es da&#x017F;&#x017F;elbe in dem <hi rendition="#i">Beyspiele</hi> eines fin-<lb/>
girten Falles, oder auch einer wahren Anekdote auf-<lb/>
führt, und so zeigt, da&#x017F;s es kein leerer Nahme, son-<lb/>
dern <hi rendition="#i">vorhanden ist</hi>, so &#x017F;teht die <hi rendition="#i">allgemeine</hi> Wirklich-<lb/>
keit des verkehrten Thuns der ganzen realen Welt<lb/>
entgegen, worin jenes Beyspiel al&#x017F;o nur etwas ganz<lb/>
vereinzelntes, eine <hi rendition="#i">Espece</hi> ausmacht; und das Da-<lb/>
seyn des Guten und Edeln als eine einzelne Anek-<lb/>
dote, sie sey fingirt oder wahr, dar&#x017F;tellen, ist das<lb/>
bitter&#x017F;te, was von ihm gesagt werden kann. &#x2014; For-<lb/>
dert das einfache Bewu&#x017F;stseyn endlich die Auflö&#x017F;ung<lb/>
die&#x017F;er ganzen Welt der Verkehrung, so kann es<lb/>
nicht an das <hi rendition="#i">Individuum</hi> die Entfernung aus ihr fo-<lb/>
dern, denn Diogenes im Fa&#x017F;&#x017F;e ist durch sie bedingt,<lb/>
und die Foderung an den Einzelnen ist gerade das,<lb/>
was für das Schlechte gilt, nemlich <hi rendition="#i">für sich</hi> als <hi rendition="#i">ein-<lb/>
zelnen</hi> zu sorgen. An die allgemeine <hi rendition="#i">Individualität</hi><lb/>
aber gerichtet kann die Foderung die&#x017F;er Entfernung<lb/>
nicht die Bedeutung haben, da&#x017F;s die Vernunft das<lb/>
geistige gebildete Bewu&#x017F;stseyn, zu dem sie gekom-<lb/>
men ist, wieder aufgebe, den ausgebreiteten Reich-<lb/>
thum ihrer Momente in die Einfachheit des natür-<lb/>
lichen Herzens zurückver&#x017F;enke, und in die Wild-<lb/>
ni&#x017F;s und Nähe des thierischen Bewu&#x017F;stseyns, welche<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0580] Gut genannte in seinem Wesen das Verkehrte seiner selbſt, so wie das Schlechte umgekehrt das Vortreff- liche ist. Ersetzt das einfache Bewuſstseyn diesen geist- losen Gedanken durch die Wirklichkeit des Vortreff- lichen, indem es daſſelbe in dem Beyspiele eines fin- girten Falles, oder auch einer wahren Anekdote auf- führt, und so zeigt, daſs es kein leerer Nahme, son- dern vorhanden ist, so ſteht die allgemeine Wirklich- keit des verkehrten Thuns der ganzen realen Welt entgegen, worin jenes Beyspiel alſo nur etwas ganz vereinzelntes, eine Espece ausmacht; und das Da- seyn des Guten und Edeln als eine einzelne Anek- dote, sie sey fingirt oder wahr, darſtellen, ist das bitterſte, was von ihm gesagt werden kann. — For- dert das einfache Bewuſstseyn endlich die Auflöſung dieſer ganzen Welt der Verkehrung, so kann es nicht an das Individuum die Entfernung aus ihr fo- dern, denn Diogenes im Faſſe ist durch sie bedingt, und die Foderung an den Einzelnen ist gerade das, was für das Schlechte gilt, nemlich für sich als ein- zelnen zu sorgen. An die allgemeine Individualität aber gerichtet kann die Foderung dieſer Entfernung nicht die Bedeutung haben, daſs die Vernunft das geistige gebildete Bewuſstseyn, zu dem sie gekom- men ist, wieder aufgebe, den ausgebreiteten Reich- thum ihrer Momente in die Einfachheit des natür- lichen Herzens zurückverſenke, und in die Wild- niſs und Nähe des thierischen Bewuſstseyns, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/580
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/580>, abgerufen am 16.07.2024.