Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Evidenz dieses mangelhafften Erken-
nens, auf welche die Mathematik stolz ist, und
womit sie sich auch gegen die Philosophie brü-
stet, beruht allein auf der Armuth ihres Zwecks
und der Mangelhaftigkeit ihres Stoffs, und ist
darum von einer Art, die die Philosophie ver-
scmähen muss. -- Ihr Zweck oder Begriff ist die
Grösse. Diss ist gerade das unwesentliche, be-
grifflose Verhältnics. Die Bewegung des Wis-
sens geht darum auf der Oberfläche vor, be-
rührt nicht die Sache selbst, nicht das Wesen
oder den Begriff, und ist desswegen kein Be-
greiffen. -- Der Stoff, über den die Mathema-
tik den erfreulichen Schatz von Wahrheiten ge-
währt, ist der Raum und das Eins. Der Raum
ist das Daseyn, worin der Begriff seine Unter-
scheide einschreibt, als in ein leeres, todtes
Element, worin sie ebenso unbewegt und leblos
sind. Das Wirkliche ist nicht ein Räumliches,
wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit
solcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Ma-
thematik sind, gibt sich weder das concrete sinn-
liche Anschauen, noch die Philosophie ab. In
solchem unwirklichen Elemente gibt es denn
auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixirte,
todte Sätze; bey jedem derselben kann aufge-
hört werden; der folgende fängt für sich von

Die Evidenz dieſes mangelhafften Erken-
nens, auf welche die Mathematik ſtolz iſt, und
womit ſie ſich auch gegen die Philoſophie brü-
ſtet, beruht allein auf der Armuth ihres Zwecks
und der Mangelhaftigkeit ihres Stoffs, und iſt
darum von einer Art, die die Philoſophie ver-
ſcmähen muſs. — Ihr Zweck oder Begriff iſt die
Gröſse. Diſs iſt gerade das unweſentliche, be-
griffloſe Verhältnics. Die Bewegung des Wiſ-
ſens geht darum auf der Oberfläche vor, be-
rührt nicht die Sache ſelbſt, nicht das Weſen
oder den Begriff, und iſt deſswegen kein Be-
greiffen. — Der Stoff, über den die Mathema-
tik den erfreulichen Schatz von Wahrheiten ge-
währt, iſt der Raum und das Eins. Der Raum
iſt das Daſeyn, worin der Begriff ſeine Unter-
ſcheide einſchreibt, als in ein leeres, todtes
Element, worin ſie ebenſo unbewegt und leblos
ſind. Das Wirkliche iſt nicht ein Räumliches,
wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit
ſolcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Ma-
thematik ſind, gibt ſich weder das concrete ſinn-
liche Anſchauen, noch die Philoſophie ab. In
ſolchem unwirklichen Elemente gibt es denn
auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixirte,
todte Sätze; bey jedem derſelben kann aufge-
hört werden; der folgende fängt für ſich von

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0067" n="LII"/>
        <p>Die <hi rendition="#i">Evidenz</hi> die&#x017F;es mangelhafften Erken-<lb/>
nens, auf welche die Mathematik &#x017F;tolz i&#x017F;t, und<lb/>
womit &#x017F;ie &#x017F;ich auch gegen die Philo&#x017F;ophie brü-<lb/>
&#x017F;tet, beruht allein auf der Armuth ihres <hi rendition="#i">Zwecks</hi><lb/>
und der Mangelhaftigkeit ihres <hi rendition="#i">Stoffs</hi>, und i&#x017F;t<lb/>
darum von einer Art, die die Philo&#x017F;ophie ver-<lb/>
&#x017F;cmähen mu&#x017F;s. &#x2014; Ihr <hi rendition="#i">Zweck</hi> oder Begriff i&#x017F;t die<lb/><hi rendition="#i">Grö&#x017F;se</hi>. Di&#x017F;s i&#x017F;t gerade das unwe&#x017F;entliche, be-<lb/>
grifflo&#x017F;e Verhältnics. Die Bewegung des Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ens geht darum auf der Oberfläche vor, be-<lb/>
rührt nicht die Sache &#x017F;elb&#x017F;t, nicht das We&#x017F;en<lb/>
oder den Begriff, und i&#x017F;t de&#x017F;swegen kein Be-<lb/>
greiffen. &#x2014; Der <hi rendition="#i">Stoff</hi>, über den die Mathema-<lb/>
tik den erfreulichen Schatz von Wahrheiten ge-<lb/>
währt, i&#x017F;t der <hi rendition="#i">Raum</hi> und das <hi rendition="#i">Eins</hi>. Der Raum<lb/>
i&#x017F;t das Da&#x017F;eyn, worin der Begriff &#x017F;eine Unter-<lb/>
&#x017F;cheide ein&#x017F;chreibt, als in ein leeres, todtes<lb/>
Element, worin &#x017F;ie eben&#x017F;o unbewegt und leblos<lb/>
&#x017F;ind. Das <hi rendition="#i">Wirkliche</hi> i&#x017F;t nicht ein Räumliches,<lb/>
wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit<lb/>
&#x017F;olcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Ma-<lb/>
thematik &#x017F;ind, gibt &#x017F;ich weder das concrete &#x017F;inn-<lb/>
liche An&#x017F;chauen, noch die Philo&#x017F;ophie ab. In<lb/>
&#x017F;olchem unwirklichen Elemente gibt es denn<lb/>
auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixirte,<lb/>
todte Sätze; bey jedem der&#x017F;elben kann aufge-<lb/>
hört werden; der folgende fängt für &#x017F;ich von<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[LII/0067] Die Evidenz dieſes mangelhafften Erken- nens, auf welche die Mathematik ſtolz iſt, und womit ſie ſich auch gegen die Philoſophie brü- ſtet, beruht allein auf der Armuth ihres Zwecks und der Mangelhaftigkeit ihres Stoffs, und iſt darum von einer Art, die die Philoſophie ver- ſcmähen muſs. — Ihr Zweck oder Begriff iſt die Gröſse. Diſs iſt gerade das unweſentliche, be- griffloſe Verhältnics. Die Bewegung des Wiſ- ſens geht darum auf der Oberfläche vor, be- rührt nicht die Sache ſelbſt, nicht das Weſen oder den Begriff, und iſt deſswegen kein Be- greiffen. — Der Stoff, über den die Mathema- tik den erfreulichen Schatz von Wahrheiten ge- währt, iſt der Raum und das Eins. Der Raum iſt das Daſeyn, worin der Begriff ſeine Unter- ſcheide einſchreibt, als in ein leeres, todtes Element, worin ſie ebenſo unbewegt und leblos ſind. Das Wirkliche iſt nicht ein Räumliches, wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit ſolcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Ma- thematik ſind, gibt ſich weder das concrete ſinn- liche Anſchauen, noch die Philoſophie ab. In ſolchem unwirklichen Elemente gibt es denn auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixirte, todte Sätze; bey jedem derſelben kann aufge- hört werden; der folgende fängt für ſich von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/67
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. LII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/67>, abgerufen am 21.11.2024.