Wahrheit halten sich die andern, und sind darin sei- ner gewiss; er hat darin ausgesprochen, was ihm als Pflicht gilt. Allein er ist frey von irgend einer be- stimmten Pflicht; er ist da heraus, wo sie meynen, dass er wirklich sey; und diss Medium des Seyns selbst, und die Pflicht als an sich seyend, gilt ihm nur als Moment. Was er ihnen also hinstellt, ver- stellt er auch wieder, oder vielmehr hat es unmit- telbar verstellt. Denn seine Wirklichkeit ist ihm nicht diese hinausgestellte Pflicht und Bestimmung, son- dern diejenige, welche er in der absoluten Gewiss- heit seiner selbst hat.
Sie wissen also nicht, ob diss Gewissen mora- lisch gut oder ob es böse ist, oder vielmehr sie kön- nen es nicht nur nicht wissen, sondern müssen es auch für böse nehmen. Denn wie es frey von der Bestimmtheit der Pflicht, und von der Pflicht als an sich seyender ist, sind sie es gleichfalls. Was es ih- nen hinstellt, wissen sie selbst zu verstellen; es ist ein solches, wodurch nur das Selbst eines andern ausge- drückt ist, nicht ihr eignes; sie wissen sich nicht nur frey davon, sondern müssen es in ihrem eignen Be- wusstseyn auflösen, durch Urtheilen und Erklären zu nichte machen, um ihr Selbst zu erhalten.
Allein die Handlung des Gewissens ist nicht nur diese von dem reinen Selbst verlassne Bestimmung des Seyns. Was als Pflicht gelten und anerkannt werden soll, ist es allein durch das Wissen und die Ueberzeugung davon als von der Pflicht, durch das
Wahrheit halten ſich die andern, und ſind darin ſei- ner gewiſs; er hat darin ausgeſprochen, was ihm als Pflicht gilt. Allein er iſt frey von irgend einer be- ſtimmten Pflicht; er iſt da heraus, wo ſie meynen, daſs er wirklich ſey; und diſs Medium des Seyns ſelbſt, und die Pflicht als an ſich ſeyend, gilt ihm nur als Moment. Was er ihnen alſo hinſtellt, ver- ſtellt er auch wieder, oder vielmehr hat es unmit- telbar verſtellt. Denn ſeine Wirklichkeit iſt ihm nicht dieſe hinausgeſtellte Pflicht und Beſtimmung, ſon- dern diejenige, welche er in der abſoluten Gewiſs- heit ſeiner ſelbſt hat.
Sie wiſſen alſo nicht, ob diſs Gewiſſen mora- liſch gut oder ob es böſe iſt, oder vielmehr ſie kön- nen es nicht nur nicht wiſſen, ſondern müſſen es auch für böſe nehmen. Denn wie es frey von der Beſtimmtheit der Pflicht, und von der Pflicht als an ſich ſeyender iſt, sind sie es gleichfalls. Was es ih- nen hinſtellt, wiſſen ſie ſelbſt zu verſtellen; es iſt ein ſolches, wodurch nur das Selbſt eines andern ausge- drückt iſt, nicht ihr eignes; ſie wiſſen ſich nicht nur frey davon, ſondern müſſen es in ihrem eignen Be- wuſstſeyn auflöſen, durch Urtheilen und Erklären zu nichte machen, um ihr Selbſt zu erhalten.
Allein die Handlung des Gewiſſens iſt nicht nur dieſe von dem reinen Selbſt verlaſſne Beſtimmung des Seyns. Was als Pflicht gelten und anerkannt werden ſoll, iſt es allein durch das Wiſſen und die Ueberzeugung davon als von der Pflicht, durch das
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Wahrheit halten ſich die andern, und ſind darin ſei-
ner gewiſs; er hat darin ausgeſprochen, was ihm als
Pflicht gilt. Allein er iſt frey von irgend einer be-
ſtimmten Pflicht; er iſt da heraus, wo ſie meynen,
daſs er wirklich ſey; und diſs Medium des Seyns
ſelbſt, und die Pflicht als an ſich ſeyend, gilt ihm
nur als Moment. Was er ihnen alſo hinſtellt, ver-
ſtellt er auch wieder, oder vielmehr hat es unmit-
telbar verſtellt. Denn ſeine Wirklichkeit iſt ihm nicht
dieſe hinausgeſtellte Pflicht und Beſtimmung, ſon-
dern diejenige, welche er in der abſoluten Gewiſs-
heit ſeiner ſelbſt hat.
Sie wiſſen alſo nicht, ob diſs Gewiſſen mora-
liſch gut oder ob es böſe iſt, oder vielmehr ſie kön-
nen es nicht nur nicht wiſſen, ſondern müſſen es
auch für böſe nehmen. Denn wie es frey von der
Beſtimmtheit der Pflicht, und von der Pflicht als an
ſich ſeyender iſt, sind sie es gleichfalls. Was es ih-
nen hinſtellt, wiſſen ſie ſelbſt zu verſtellen; es iſt ein
ſolches, wodurch nur das Selbſt eines andern ausge-
drückt iſt, nicht ihr eignes; ſie wiſſen ſich nicht nur
frey davon, ſondern müſſen es in ihrem eignen Be-
wuſstſeyn auflöſen, durch Urtheilen und Erklären
zu nichte machen, um ihr Selbſt zu erhalten.
Allein die Handlung des Gewiſſens iſt nicht nur
dieſe von dem reinen Selbſt verlaſſne Beſtimmung
des Seyns. Was als Pflicht gelten und anerkannt
werden ſoll, iſt es allein durch das Wiſſen und die
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/709>, abgerufen am 22.11.2024.
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