Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese höhere Sprache, die Tragödie, fasst also die
Zerstreuung der Momente der wesentlichen und han-
delnden Welt näher zusammen; die Substanz des Gött-
lichen tritt nach der Natur des Begriffes in ihre Gestal-
ten auseinander, und ihre Bewegung ist gleichfalls ihm
gemäss. In Ansehung der Form, hört die Sprache,
dadurch dass sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzäh-
lend zu seyn, wie der Inhalt ein vorgestellter. Der
Held ist selbst der sprechende, und die Vorstellung
zeigt dem Zuhörer, der zugleich Zuschauer ist, selbst-
bewusste
Menschen, die ihr Recht und ihren Zweck,
die Macht und den Willen ihrer Bestimmtheit wissen
und zu sagen wissen. Sie sind Künstler, die nicht
wie die das gemeine Thun im wirklichen Leben be-
gleitende Sprache, bewusstlos, natürlich und naiv das
Aeussere ihres Entschlusses und Beginnens aussprechen,
sondern das innre Wesen äussern, das Recht ihres
Handelns beweisen, und das Pathos, dem sie angehö-
ren, frey von zufälligen Umständen und von der Be-
sonderheit der Persönlichkeiten in seiner allgemeinen
Individualität, besonnen behaupten und bestimmt aus-
sprechen. Das Daseyn dieser Charaktere sind endlich
wirkliche Menschen, welche die Personen der Helden
anlegen, und diese in wirklichem nicht erzählendem,
sondern eignem Sprechen darstellen. So wesentlich
es der Bildsäule ist, von Menschenhänden gemacht zu
seyn, eben so wesentlich ist der Schauspieler seiner
Maske, -- nicht als äusserliche Bedingung, von der
die Kunstbetrachtung abstrahiren müsse, -- oder insofern

Diese höhere Sprache, die Tragödie, faſst also die
Zerstreuung der Momente der wesentlichen und han-
delnden Welt näher zusammen; die Substanz des Gött-
lichen tritt nach der Natur des Begriffes in ihre Gestal-
ten auseinander, und ihre Bewegung ist gleichfalls ihm
gemäſs. In Ansehung der Form, hört die Sprache,
dadurch daſs sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzäh-
lend zu seyn, wie der Inhalt ein vorgestellter. Der
Held ist selbst der sprechende, und die Vorstellung
zeigt dem Zuhörer, der zugleich Zuschauer ist, selbst-
bewuſste
Menschen, die ihr Recht und ihren Zweck,
die Macht und den Willen ihrer Bestimmtheit wiſſen
und zu sagen wiſſen. Sie sind Künstler, die nicht
wie die das gemeine Thun im wirklichen Leben be-
gleitende Sprache, bewuſstlos, natürlich und naiv das
Aeuſſere ihres Entschluſſes und Beginnens ausſprechen,
sondern das innre Wesen äuſſern, das Recht ihres
Handelns beweisen, und das Pathos, dem ſie angehö-
ren, frey von zufälligen Umständen und von der Be-
sonderheit der Persönlichkeiten in seiner allgemeinen
Individualität, besonnen behaupten und bestimmt aus-
sprechen. Das Daseyn dieser Charaktere sind endlich
wirkliche Menschen, welche die Personen der Helden
anlegen, und diese in wirklichem nicht erzählendem,
sondern eignem Sprechen darstellen. So wesentlich
es der Bildsäule ist, von Menschenhänden gemacht zu
seyn, eben so wesentlich ist der Schauspieler seiner
Maske, — nicht als äuſſerliche Bedingung, von der
die Kunstbetrachtung abstrahiren müſſe, — oder insofern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0792" n="683"/>
              <p>Diese höhere Sprache, die <hi rendition="#i">Tragödie</hi>, fa&#x017F;st also die<lb/>
Zerstreuung der Momente der wesentlichen und han-<lb/>
delnden Welt näher zusammen; die <hi rendition="#i">Substanz</hi> des Gött-<lb/>
lichen tritt <hi rendition="#i">nach der Natur des Begriffes</hi> in ihre Gestal-<lb/>
ten auseinander, und ihre <hi rendition="#i">Bewegung</hi> ist gleichfalls ihm<lb/>
gemä&#x017F;s. In Ansehung der Form, hört die Sprache,<lb/>
dadurch da&#x017F;s sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzäh-<lb/>
lend zu seyn, wie der Inhalt ein vorgestellter. Der<lb/>
Held ist selbst der sprechende, und die Vorstellung<lb/>
zeigt dem Zuhörer, der zugleich Zuschauer ist, <hi rendition="#i">selbst-<lb/>
bewu&#x017F;ste</hi> Menschen, die ihr Recht und ihren Zweck,<lb/>
die Macht und den Willen ihrer Bestimmtheit <hi rendition="#i">wi&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
und zu <hi rendition="#i">sagen</hi> wi&#x017F;&#x017F;en. Sie sind Künstler, die nicht<lb/>
wie die das gemeine Thun im wirklichen Leben be-<lb/>
gleitende Sprache, bewu&#x017F;stlos, natürlich und naiv das<lb/><hi rendition="#i">Aeu&#x017F;&#x017F;ere</hi> ihres Entschlu&#x017F;&#x017F;es und Beginnens aus&#x017F;prechen,<lb/>
sondern das innre Wesen äu&#x017F;&#x017F;ern, das Recht ihres<lb/>
Handelns beweisen, und das Pathos, dem &#x017F;ie angehö-<lb/>
ren, frey von zufälligen Umständen und von der Be-<lb/>
sonderheit der Persönlichkeiten in seiner allgemeinen<lb/>
Individualität, besonnen behaupten und bestimmt aus-<lb/>
sprechen. Das <hi rendition="#i">Daseyn</hi> dieser Charaktere sind endlich<lb/><hi rendition="#i">wirkliche</hi> Menschen, welche die Personen der Helden<lb/>
anlegen, und diese in wirklichem nicht erzählendem,<lb/>
sondern eignem Sprechen darstellen. So wesentlich<lb/>
es der Bildsäule ist, von Menschenhänden gemacht zu<lb/>
seyn, eben so wesentlich ist der Schauspieler seiner<lb/>
Maske, &#x2014; nicht als äu&#x017F;&#x017F;erliche Bedingung, von der<lb/>
die Kunstbetrachtung abstrahiren mü&#x017F;&#x017F;e, &#x2014; oder insofern<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[683/0792] Diese höhere Sprache, die Tragödie, faſst also die Zerstreuung der Momente der wesentlichen und han- delnden Welt näher zusammen; die Substanz des Gött- lichen tritt nach der Natur des Begriffes in ihre Gestal- ten auseinander, und ihre Bewegung ist gleichfalls ihm gemäſs. In Ansehung der Form, hört die Sprache, dadurch daſs sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzäh- lend zu seyn, wie der Inhalt ein vorgestellter. Der Held ist selbst der sprechende, und die Vorstellung zeigt dem Zuhörer, der zugleich Zuschauer ist, selbst- bewuſste Menschen, die ihr Recht und ihren Zweck, die Macht und den Willen ihrer Bestimmtheit wiſſen und zu sagen wiſſen. Sie sind Künstler, die nicht wie die das gemeine Thun im wirklichen Leben be- gleitende Sprache, bewuſstlos, natürlich und naiv das Aeuſſere ihres Entschluſſes und Beginnens ausſprechen, sondern das innre Wesen äuſſern, das Recht ihres Handelns beweisen, und das Pathos, dem ſie angehö- ren, frey von zufälligen Umständen und von der Be- sonderheit der Persönlichkeiten in seiner allgemeinen Individualität, besonnen behaupten und bestimmt aus- sprechen. Das Daseyn dieser Charaktere sind endlich wirkliche Menschen, welche die Personen der Helden anlegen, und diese in wirklichem nicht erzählendem, sondern eignem Sprechen darstellen. So wesentlich es der Bildsäule ist, von Menschenhänden gemacht zu seyn, eben so wesentlich ist der Schauspieler seiner Maske, — nicht als äuſſerliche Bedingung, von der die Kunstbetrachtung abstrahiren müſſe, — oder insofern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/792
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/792>, abgerufen am 22.11.2024.