Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Inmitten in dem Blumenland Ein klarer Marmorbrunnen stand; Da schaut' ich eine schöne Maid, Die emsig wusch ein weißes Kleid. Die Wänglein süß, die Aeuglein mild, Ein blondgelocktes Heil'genbild; Und wie ich schau, die Maid ich fand So fremd und doch so wohl bekannt. Die schöne Maid, die sputet sich, Sie summt ein Lied gar wunderlich: "Rinne, rinne, Wässerlein, "Wasche, wasche Hemde rein." Ich ging und nahete mich ihr, Und flüsterte: O sage mir, Du wunderschöne, süße Maid! Für wen ist dieses weiße Kleid? Da sprach sie schnell: Sey bald bereit,
Ich wasche dir dein Todtenkleid! Und als sie dieß gesprochen kaum, Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. -- Inmitten in dem Blumenland Ein klarer Marmorbrunnen ſtand; Da ſchaut' ich eine ſchöne Maid, Die emſig wuſch ein weißes Kleid. Die Wänglein ſüß, die Aeuglein mild, Ein blondgelocktes Heil'genbild; Und wie ich ſchau, die Maid ich fand So fremd und doch ſo wohl bekannt. Die ſchöne Maid, die ſputet ſich, Sie ſummt ein Lied gar wunderlich: „Rinne, rinne, Wäſſerlein, „Waſche, waſche Hemde rein.“ Ich ging und nahete mich ihr, Und flüſterte: O ſage mir, Du wunderſchöne, ſüße Maid! Für wen iſt dieſes weiße Kleid? Da ſprach ſie ſchnell: Sey bald bereit,
Ich waſche dir dein Todtenkleid! Und als ſie dieß geſprochen kaum, Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0015" n="7"/> <lg n="5"> <l>Inmitten in dem Blumenland</l><lb/> <l>Ein klarer Marmorbrunnen ſtand;</l><lb/> <l>Da ſchaut' ich eine ſchöne Maid,</l><lb/> <l>Die emſig wuſch ein weißes Kleid.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Die Wänglein ſüß, die Aeuglein mild,</l><lb/> <l>Ein blondgelocktes Heil'genbild;</l><lb/> <l>Und wie ich ſchau, die Maid ich fand</l><lb/> <l>So fremd und doch ſo wohl bekannt.</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Die ſchöne Maid, die ſputet ſich,</l><lb/> <l>Sie ſummt ein Lied gar wunderlich:</l><lb/> <l>„Rinne, rinne, Wäſſerlein,</l><lb/> <l>„Waſche, waſche Hemde rein.“</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Ich ging und nahete mich ihr,</l><lb/> <l>Und flüſterte: O ſage mir,</l><lb/> <l>Du wunderſchöne, ſüße Maid!</l><lb/> <l>Für wen iſt dieſes weiße Kleid?</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Da ſprach ſie ſchnell: Sey bald bereit,</l><lb/> <l>Ich waſche dir dein Todtenkleid!</l><lb/> <l>Und als ſie dieß geſprochen kaum,</l><lb/> <l>Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. —</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0015]
Inmitten in dem Blumenland
Ein klarer Marmorbrunnen ſtand;
Da ſchaut' ich eine ſchöne Maid,
Die emſig wuſch ein weißes Kleid.
Die Wänglein ſüß, die Aeuglein mild,
Ein blondgelocktes Heil'genbild;
Und wie ich ſchau, die Maid ich fand
So fremd und doch ſo wohl bekannt.
Die ſchöne Maid, die ſputet ſich,
Sie ſummt ein Lied gar wunderlich:
„Rinne, rinne, Wäſſerlein,
„Waſche, waſche Hemde rein.“
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüſterte: O ſage mir,
Du wunderſchöne, ſüße Maid!
Für wen iſt dieſes weiße Kleid?
Da ſprach ſie ſchnell: Sey bald bereit,
Ich waſche dir dein Todtenkleid!
Und als ſie dieß geſprochen kaum,
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. —
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