es Nacht war, und herabhängende Kristall-Leuch¬ ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke schlug eben zwölf, die Saalthüre öffnete sich lang¬ sam, und herein trat eine stolze, gigantische Frau, ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhängern der juristischen Facultät. Das Riesen¬ weib, obgleich schon bejahrt, trug dennoch im Ant¬ litz die Züge einer strengen Schönheit, jeder ihrer Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬ mis, Schwert und Wage hielt sie nachlässig zu¬ sammen in der einen Hand, in der andern hielt sie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬ wandes, an ihrer rechten Seite sprang windig hin und her der dünne Hofrath Rusticus, der Lykurg Hannovers, und deklamirte aus seinem neuen Gesetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬ pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere servente, der geheime Justizrath Cujacius, und riß beständig juristische Witze, und lachte selbst darüber so herzlich, daß sogar die ernste Göttin sich mehr¬
es Nacht war, und herabhaͤngende Kriſtall-Leuch¬ ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke ſchlug eben zwoͤlf, die Saalthuͤre oͤffnete ſich lang¬ ſam, und herein trat eine ſtolze, gigantiſche Frau, ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhaͤngern der juriſtiſchen Facultaͤt. Das Rieſen¬ weib, obgleich ſchon bejahrt, trug dennoch im Ant¬ litz die Zuͤge einer ſtrengen Schoͤnheit, jeder ihrer Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬ mis, Schwert und Wage hielt ſie nachlaͤſſig zu¬ ſammen in der einen Hand, in der andern hielt ſie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬ wandes, an ihrer rechten Seite ſprang windig hin und her der duͤnne Hofrath Ruſticus, der Lykurg Hannovers, und deklamirte aus ſeinem neuen Geſetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬ pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere servente, der geheime Juſtizrath Cujacius, und riß beſtaͤndig juriſtiſche Witze, und lachte ſelbſt daruͤber ſo herzlich, daß ſogar die ernſte Goͤttin ſich mehr¬
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es Nacht war, und herabhaͤngende Kriſtall-Leuch¬
ter den Saal erhellten. Die nahe Kirchenglocke
ſchlug eben zwoͤlf, die Saalthuͤre oͤffnete ſich lang¬
ſam, und herein trat eine ſtolze, gigantiſche Frau,
ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und
Anhaͤngern der juriſtiſchen Facultaͤt. Das Rieſen¬
weib, obgleich ſchon bejahrt, trug dennoch im Ant¬
litz die Zuͤge einer ſtrengen Schoͤnheit, jeder ihrer
Blicke verrieth die hohe Titanin, die gewaltige The¬
mis, Schwert und Wage hielt ſie nachlaͤſſig zu¬
ſammen in der einen Hand, in der andern hielt
ſie eine Pergamentrolle, zwey junge Doctores juris
trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Ge¬
wandes, an ihrer rechten Seite ſprang windig
hin und her der duͤnne Hofrath Ruſticus, der
Lykurg Hannovers, und deklamirte aus ſeinem
neuen Geſetzentwurf; an ihrer linken Seite hum¬
pelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere
servente, der geheime Juſtizrath Cujacius, und riß
beſtaͤndig juriſtiſche Witze, und lachte ſelbſt daruͤber
ſo herzlich, daß ſogar die ernſte Goͤttin ſich mehr¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/139>, abgerufen am 27.11.2024.
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