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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Hinter Nordheim wird es schon gebirgig und
hier und da treten schöne Anhöhen hervor. Auf
dem Wege traf ich meistens Krämer, die nach der
Braunschweiger Messe zogen, auch einen Schwarm
Frauenzimmer, deren jede ein großes, fast häuser¬
hohes, mit weißem Leinen überzogenes Behältniß
auf dem Rücken trug. Darin saßen allerley ein¬
gefangene Singvögel, die beständig piepsten und
zwitscherten, während ihre Trägerinnen lustig da¬
hinhüpften und schwatzten. Mir kam es gar
närrisch vor, wie so ein Vogel den andern zu
Markte trägt.

In pechdunkler Nacht kam ich an zu Osterode.
Es fehlte mir der Appetit zum Essen und ich legte
mich gleich zu Bette. Ich war müde wie ein
Hund und schlief wie ein Gott. Im Traume kam
ich wieder nach Göttingen zurück, und zwar nach
der dortigen Bibliothek. Ich stand in einer Ecke
des juristischen Saals, durchstöberte alte Disserta¬
zionen, vertiefte mich im Lesen, und als ich auf¬
hörte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß

Hinter Nordheim wird es ſchon gebirgig und
hier und da treten ſchoͤne Anhoͤhen hervor. Auf
dem Wege traf ich meiſtens Kraͤmer, die nach der
Braunſchweiger Meſſe zogen, auch einen Schwarm
Frauenzimmer, deren jede ein großes, faſt haͤuſer¬
hohes, mit weißem Leinen uͤberzogenes Behaͤltniß
auf dem Ruͤcken trug. Darin ſaßen allerley ein¬
gefangene Singvoͤgel, die beſtaͤndig piepſten und
zwitſcherten, waͤhrend ihre Traͤgerinnen luſtig da¬
hinhuͤpften und ſchwatzten. Mir kam es gar
naͤrriſch vor, wie ſo ein Vogel den andern zu
Markte traͤgt.

In pechdunkler Nacht kam ich an zu Oſterode.
Es fehlte mir der Appetit zum Eſſen und ich legte
mich gleich zu Bette. Ich war muͤde wie ein
Hund und ſchlief wie ein Gott. Im Traume kam
ich wieder nach Goͤttingen zuruͤck, und zwar nach
der dortigen Bibliothek. Ich ſtand in einer Ecke
des juriſtiſchen Saals, durchſtoͤberte alte Diſſerta¬
zionen, vertiefte mich im Leſen, und als ich auf¬
hoͤrte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß

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[126/0138] Hinter Nordheim wird es ſchon gebirgig und hier und da treten ſchoͤne Anhoͤhen hervor. Auf dem Wege traf ich meiſtens Kraͤmer, die nach der Braunſchweiger Meſſe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, faſt haͤuſer¬ hohes, mit weißem Leinen uͤberzogenes Behaͤltniß auf dem Ruͤcken trug. Darin ſaßen allerley ein¬ gefangene Singvoͤgel, die beſtaͤndig piepſten und zwitſcherten, waͤhrend ihre Traͤgerinnen luſtig da¬ hinhuͤpften und ſchwatzten. Mir kam es gar naͤrriſch vor, wie ſo ein Vogel den andern zu Markte traͤgt. In pechdunkler Nacht kam ich an zu Oſterode. Es fehlte mir der Appetit zum Eſſen und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war muͤde wie ein Hund und ſchlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach Goͤttingen zuruͤck, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich ſtand in einer Ecke des juriſtiſchen Saals, durchſtoͤberte alte Diſſerta¬ zionen, vertiefte mich im Leſen, und als ich auf¬ hoͤrte, bemerkte ich zu meiner Verwundrung, daß

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/138>, abgerufen am 27.11.2024.