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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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ser Halle verließ, mit Niemand mehr sprach, und
wenig aß, und Tag und Nacht weinte, und immer
den Canarienvogel betrachtete, den der Geliebte
ihr einst geschenkt hatte. "Der Vogel starb, und
bald darauf ist auch die Lore gestorben!" so schloß
die Erzählung, und beyde Jünglinge schwiegen wie¬
der und seufzten, als wollte ihnen das Herz zer¬
springen. Endlich sprach der Andere: "Meine
Seele ist traurig! Komm mit hinaus in die dunkle
Nacht! Einathmen will ich den Hauch der Wolken
und die Strahlen des Mondes. Genosse meiner
Wehmuth! ich liebe Dich, Deine Worte tönen wie
Rohrgeflüster, wie gleitende Ströme, sie tönen wie¬
der in meiner Brust, aber meine Seele ist traurig!"
Nun erhoben sich die beyden Jünglinge, Einer
schlang den Arm um den Nacken des Andern, und
sie verließen das tosende Zimmer. Ich folgte ihnen
nach und sah, wie sie in eine dunkle Kammer tra¬
ten, wie der Eine, statt des Fensters, einen gro¬
ßen Kleiderschrank öffnete, wie Beide vor demsel¬
ben, mit sehnsüchtig ausgestreckten Armen, stehen

ſer Halle verließ, mit Niemand mehr ſprach, und
wenig aß, und Tag und Nacht weinte, und immer
den Canarienvogel betrachtete, den der Geliebte
ihr einſt geſchenkt hatte. “Der Vogel ſtarb, und
bald darauf iſt auch die Lore geſtorben!” ſo ſchloß
die Erzaͤhlung, und beyde Juͤnglinge ſchwiegen wie¬
der und ſeufzten, als wollte ihnen das Herz zer¬
ſpringen. Endlich ſprach der Andere: “Meine
Seele iſt traurig! Komm mit hinaus in die dunkle
Nacht! Einathmen will ich den Hauch der Wolken
und die Strahlen des Mondes. Genoſſe meiner
Wehmuth! ich liebe Dich, Deine Worte toͤnen wie
Rohrgefluͤſter, wie gleitende Stroͤme, ſie toͤnen wie¬
der in meiner Bruſt, aber meine Seele iſt traurig!”
Nun erhoben ſich die beyden Juͤnglinge, Einer
ſchlang den Arm um den Nacken des Andern, und
ſie verließen das toſende Zimmer. Ich folgte ihnen
nach und ſah, wie ſie in eine dunkle Kammer tra¬
ten, wie der Eine, ſtatt des Fenſters, einen gro¬
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[226/0238] ſer Halle verließ, mit Niemand mehr ſprach, und wenig aß, und Tag und Nacht weinte, und immer den Canarienvogel betrachtete, den der Geliebte ihr einſt geſchenkt hatte. “Der Vogel ſtarb, und bald darauf iſt auch die Lore geſtorben!” ſo ſchloß die Erzaͤhlung, und beyde Juͤnglinge ſchwiegen wie¬ der und ſeufzten, als wollte ihnen das Herz zer¬ ſpringen. Endlich ſprach der Andere: “Meine Seele iſt traurig! Komm mit hinaus in die dunkle Nacht! Einathmen will ich den Hauch der Wolken und die Strahlen des Mondes. Genoſſe meiner Wehmuth! ich liebe Dich, Deine Worte toͤnen wie Rohrgefluͤſter, wie gleitende Stroͤme, ſie toͤnen wie¬ der in meiner Bruſt, aber meine Seele iſt traurig!” Nun erhoben ſich die beyden Juͤnglinge, Einer ſchlang den Arm um den Nacken des Andern, und ſie verließen das toſende Zimmer. Ich folgte ihnen nach und ſah, wie ſie in eine dunkle Kammer tra¬ ten, wie der Eine, ſtatt des Fenſters, einen gro¬ ßen Kleiderſchrank oͤffnete, wie Beide vor demſel¬ ben, mit ſehnſuͤchtig ausgeſtreckten Armen, ſtehen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/238>, abgerufen am 04.12.2024.