Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Und noch leiser wollt' ich flüstern
In die kleinen Liljen-Ohren:
Denk' im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.

Indessen, meine Sehnsucht nach einem Früh¬
stück war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen
Damen einige Höflichkeiten gesagt, eilte ich hinab,
um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es
that Noth; in meinem Magen sah es so nüchtern
aus, wie in der Goslarschen Stephans-Kirche.
Aber mit dem arabischen Trank rieselte mir auch
der warme Orient durch die Glieder, östliche Ro¬
sen umdufteten mich, süße Bulbul-Lieder erklangen,
die Studenten verwandelten sich in Kameele, die
Brockenhaus-Mädchen, mit ihren Congrevschen
Blicken, wurden zu Houris, die Philister-Nasen
wurden Minarets u. s. w.

Das Buch, das neben mir lag, war aber
nicht der Koran. Unsinn enthielt es freilich genug.
Es war das sogenannte Brockenbuch, worin alle

Und noch leiſer wollt' ich fluͤſtern
In die kleinen Liljen-Ohren:
Denk' im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.

Indeſſen, meine Sehnſucht nach einem Fruͤh¬
ſtuͤck war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen
Damen einige Hoͤflichkeiten geſagt, eilte ich hinab,
um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es
that Noth; in meinem Magen ſah es ſo nuͤchtern
aus, wie in der Goslarſchen Stephans-Kirche.
Aber mit dem arabiſchen Trank rieſelte mir auch
der warme Orient durch die Glieder, oͤſtliche Ro¬
ſen umdufteten mich, ſuͤße Bulbul-Lieder erklangen,
die Studenten verwandelten ſich in Kameele, die
Brockenhaus-Maͤdchen, mit ihren Congrevſchen
Blicken, wurden zu Houris, die Philiſter-Naſen
wurden Minarets u. ſ. w.

Das Buch, das neben mir lag, war aber
nicht der Koran. Unſinn enthielt es freilich genug.
Es war das ſogenannte Brockenbuch, worin alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0246" n="234"/>
          <lg n="4">
            <l rendition="#et">Und noch lei&#x017F;er wollt' ich flu&#x0364;&#x017F;tern</l><lb/>
            <l>In die kleinen Liljen-Ohren:</l><lb/>
            <l>Denk' im Traum, daß wir uns lieben,</l><lb/>
            <l>Und daß wir uns nie verloren.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>Inde&#x017F;&#x017F;en, meine Sehn&#x017F;ucht nach einem Fru&#x0364;<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ck war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen<lb/>
Damen einige Ho&#x0364;flichkeiten ge&#x017F;agt, eilte ich hinab,<lb/>
um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es<lb/>
that Noth; in meinem Magen &#x017F;ah es &#x017F;o nu&#x0364;chtern<lb/>
aus, wie in der Goslar&#x017F;chen Stephans-Kirche.<lb/>
Aber mit dem arabi&#x017F;chen Trank rie&#x017F;elte mir auch<lb/>
der warme Orient durch die Glieder, o&#x0364;&#x017F;tliche Ro¬<lb/>
&#x017F;en umdufteten mich, &#x017F;u&#x0364;ße Bulbul-Lieder erklangen,<lb/>
die Studenten verwandelten &#x017F;ich in Kameele, die<lb/>
Brockenhaus-Ma&#x0364;dchen, mit ihren Congrev&#x017F;chen<lb/>
Blicken, wurden zu Houris, die Phili&#x017F;ter-Na&#x017F;en<lb/>
wurden Minarets u. &#x017F;. w.</p><lb/>
        <p>Das Buch, das neben mir lag, war aber<lb/>
nicht der Koran. Un&#x017F;inn enthielt es freilich genug.<lb/>
Es war das &#x017F;ogenannte Brockenbuch, worin alle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0246] Und noch leiſer wollt' ich fluͤſtern In die kleinen Liljen-Ohren: Denk' im Traum, daß wir uns lieben, Und daß wir uns nie verloren. Indeſſen, meine Sehnſucht nach einem Fruͤh¬ ſtuͤck war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen Damen einige Hoͤflichkeiten geſagt, eilte ich hinab, um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es that Noth; in meinem Magen ſah es ſo nuͤchtern aus, wie in der Goslarſchen Stephans-Kirche. Aber mit dem arabiſchen Trank rieſelte mir auch der warme Orient durch die Glieder, oͤſtliche Ro¬ ſen umdufteten mich, ſuͤße Bulbul-Lieder erklangen, die Studenten verwandelten ſich in Kameele, die Brockenhaus-Maͤdchen, mit ihren Congrevſchen Blicken, wurden zu Houris, die Philiſter-Naſen wurden Minarets u. ſ. w. Das Buch, das neben mir lag, war aber nicht der Koran. Unſinn enthielt es freilich genug. Es war das ſogenannte Brockenbuch, worin alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/246
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/246>, abgerufen am 23.11.2024.