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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Bergabsteigen, und waren um so vergnügter. End¬
lich gelangten wir auf den Ilsenstein.

Das ist ein ungeheurer Granitfelsen, der sich
lang und keck aus der Tiefe erhebt. Von drey
Seiten umschließen ihn die hohen, waldbedeckten
Berge, aber die vierte, die Nordseite, ist frei und
hier schaut man das unten liegende Ilsenburg und
die Ilse, weit hinab in's niedere Land. Auf der
thurmartigen Spitze des Felsens steht ein großes,
eisernes Kreuz, und zur Noth ist da noch Platz
für vier Menschenfüße.

Wie nun die Natur, durch Stellung und Form,
den Ilsenstein mit phantastischen Reizen geschmückt,
so hat auch die Sage ihren Rosenschein darüber
ausgegossen. Gottschalk berichtet: "Man erzählt,
hier habe ein verwünschtes Schloß gestanden, in
welchem die reiche, schöne Prinzessin Ilse gewohnt,
die sich noch jetzt jeden Morgen in der Ilse bade;
und wer so glücklich ist, den rechten Zeitpunkt zu
treffen, werde von ihr in den Felsen, wo ihr
Schloß sey, geführt und königlich belohnt!" An¬

Bergabſteigen, und waren um ſo vergnuͤgter. End¬
lich gelangten wir auf den Ilſenſtein.

Das iſt ein ungeheurer Granitfelſen, der ſich
lang und keck aus der Tiefe erhebt. Von drey
Seiten umſchließen ihn die hohen, waldbedeckten
Berge, aber die vierte, die Nordſeite, iſt frei und
hier ſchaut man das unten liegende Ilſenburg und
die Ilſe, weit hinab in's niedere Land. Auf der
thurmartigen Spitze des Felſens ſteht ein großes,
eiſernes Kreuz, und zur Noth iſt da noch Platz
fuͤr vier Menſchenfuͤße.

Wie nun die Natur, durch Stellung und Form,
den Ilſenſtein mit phantaſtiſchen Reizen geſchmuͤckt,
ſo hat auch die Sage ihren Roſenſchein daruͤber
ausgegoſſen. Gottſchalk berichtet: “Man erzaͤhlt,
hier habe ein verwuͤnſchtes Schloß geſtanden, in
welchem die reiche, ſchoͤne Prinzeſſin Ilſe gewohnt,
die ſich noch jetzt jeden Morgen in der Ilſe bade;
und wer ſo gluͤcklich iſt, den rechten Zeitpunkt zu
treffen, werde von ihr in den Felſen, wo ihr
Schloß ſey, gefuͤhrt und koͤniglich belohnt!” An¬

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[247/0259] Bergabſteigen, und waren um ſo vergnuͤgter. End¬ lich gelangten wir auf den Ilſenſtein. Das iſt ein ungeheurer Granitfelſen, der ſich lang und keck aus der Tiefe erhebt. Von drey Seiten umſchließen ihn die hohen, waldbedeckten Berge, aber die vierte, die Nordſeite, iſt frei und hier ſchaut man das unten liegende Ilſenburg und die Ilſe, weit hinab in's niedere Land. Auf der thurmartigen Spitze des Felſens ſteht ein großes, eiſernes Kreuz, und zur Noth iſt da noch Platz fuͤr vier Menſchenfuͤße. Wie nun die Natur, durch Stellung und Form, den Ilſenſtein mit phantaſtiſchen Reizen geſchmuͤckt, ſo hat auch die Sage ihren Roſenſchein daruͤber ausgegoſſen. Gottſchalk berichtet: “Man erzaͤhlt, hier habe ein verwuͤnſchtes Schloß geſtanden, in welchem die reiche, ſchoͤne Prinzeſſin Ilſe gewohnt, die ſich noch jetzt jeden Morgen in der Ilſe bade; und wer ſo gluͤcklich iſt, den rechten Zeitpunkt zu treffen, werde von ihr in den Felſen, wo ihr Schloß ſey, gefuͤhrt und koͤniglich belohnt!” An¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/259>, abgerufen am 22.11.2024.