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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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justiz ein bedeutender Milderungsgrund, und
mancher alte Schriftsteller wird gelinde beur¬
theilt, weil man ihn für ein Kind hält. Sogar
die in der letzten Zeit aufgekommene Erfahrung,
daß junge Menschen, zur Zeit der Entwickelung
ihrer Pubertät, ein krankhaftes Gelüste tragen,
Brand zu stiften, hat auch in der Aesthetik ihren
Einfluß gehabt, und man urtheilt deßhalb ge¬
linder über so manche Flammentragödie, z. B.
die Tragödie jenes feurigen Jünglings, der
nichts geringeres als den königlichen Pallast
zu Persepolis in Brand gesteckt hat. Wir
haben, um Vergleichungen fortzusetzen, gewis¬
sermaßen auch unsere Parlamentsdebatten, und
damit meine ich unsre Theaterkritiken; wie
denn unser Schauspiel selbst gar füglich das
Haus der Gemeinen genannt werden kann, von
wegen der vielen Gemeinheiten die darin blü¬
hen, von wegen des plattgetretenen Französi¬
schen Unflats, den unser Publikum, selbst wenn
man ihm am selben Abend ein Raupachsches

juſtiz ein bedeutender Milderungsgrund, und
mancher alte Schriftſteller wird gelinde beur¬
theilt, weil man ihn fuͤr ein Kind haͤlt. Sogar
die in der letzten Zeit aufgekommene Erfahrung,
daß junge Menſchen, zur Zeit der Entwickelung
ihrer Pubertaͤt, ein krankhaftes Geluͤſte tragen,
Brand zu ſtiften, hat auch in der Aeſthetik ihren
Einfluß gehabt, und man urtheilt deßhalb ge¬
linder uͤber ſo manche Flammentragoͤdie, z. B.
die Tragoͤdie jenes feurigen Juͤnglings, der
nichts geringeres als den koͤniglichen Pallaſt
zu Perſepolis in Brand geſteckt hat. Wir
haben, um Vergleichungen fortzuſetzen, gewiſ¬
ſermaßen auch unſere Parlamentsdebatten, und
damit meine ich unſre Theaterkritiken; wie
denn unſer Schauſpiel ſelbſt gar fuͤglich das
Haus der Gemeinen genannt werden kann, von
wegen der vielen Gemeinheiten die darin bluͤ¬
hen, von wegen des plattgetretenen Franzoͤſi¬
ſchen Unflats, den unſer Publikum, ſelbſt wenn
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[114/0122] juſtiz ein bedeutender Milderungsgrund, und mancher alte Schriftſteller wird gelinde beur¬ theilt, weil man ihn fuͤr ein Kind haͤlt. Sogar die in der letzten Zeit aufgekommene Erfahrung, daß junge Menſchen, zur Zeit der Entwickelung ihrer Pubertaͤt, ein krankhaftes Geluͤſte tragen, Brand zu ſtiften, hat auch in der Aeſthetik ihren Einfluß gehabt, und man urtheilt deßhalb ge¬ linder uͤber ſo manche Flammentragoͤdie, z. B. die Tragoͤdie jenes feurigen Juͤnglings, der nichts geringeres als den koͤniglichen Pallaſt zu Perſepolis in Brand geſteckt hat. Wir haben, um Vergleichungen fortzuſetzen, gewiſ¬ ſermaßen auch unſere Parlamentsdebatten, und damit meine ich unſre Theaterkritiken; wie denn unſer Schauſpiel ſelbſt gar fuͤglich das Haus der Gemeinen genannt werden kann, von wegen der vielen Gemeinheiten die darin bluͤ¬ hen, von wegen des plattgetretenen Franzoͤſi¬ ſchen Unflats, den unſer Publikum, ſelbſt wenn man ihm am ſelben Abend ein Raupachſches

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/122>, abgerufen am 24.11.2024.