und sie gewährt mir nichts. Ich kann nicht von ihr lassen. Und wie einst der jüdische Kö¬ nig Salomon im Hohenliede die christliche Kirche besungen, und zwar unter dem Bilde eines schwarzen, liebeglühenden Mädchens, da¬ mit seine Juden nichts merkten; so habe ich in unzähligen Liedern just das Gegentheil, näm¬ lich die Vernunft, besungen, und zwar unter dem Bilde einer weißen, kalten Jungfrau, die mich anzieht und abstößt, mir bald lächelt, bald zürnt, und mir endlich gar den Rücken kehrt. Dieses Geheimniß meiner unglücklichen Liebe, das ich niemanden offenbare, giebt Ihnen, Ma¬ dame, einen Maaßstab zur Würdigung meiner Narrheit, Sie sehen daraus, daß solche von außerordentlicher Art ist, und großartig hervor¬ ragt über das gewöhnlich närrische Treiben der Menschen. Lesen Sie meinen Ratcliff, meinen Almansor, mein lyrisches Intermezzo -- Ver¬ nunft! Vernunft! nichts als Vernunft! -- und Sie erschrecken ob der Höhe meiner Narrheit.
und ſie gewaͤhrt mir nichts. Ich kann nicht von ihr laſſen. Und wie einſt der juͤdiſche Koͤ¬ nig Salomon im Hohenliede die chriſtliche Kirche beſungen, und zwar unter dem Bilde eines ſchwarzen, liebegluͤhenden Maͤdchens, da¬ mit ſeine Juden nichts merkten; ſo habe ich in unzaͤhligen Liedern juſt das Gegentheil, naͤm¬ lich die Vernunft, beſungen, und zwar unter dem Bilde einer weißen, kalten Jungfrau, die mich anzieht und abſtoͤßt, mir bald laͤchelt, bald zuͤrnt, und mir endlich gar den Ruͤcken kehrt. Dieſes Geheimniß meiner ungluͤcklichen Liebe, das ich niemanden offenbare, giebt Ihnen, Ma¬ dame, einen Maaßſtab zur Wuͤrdigung meiner Narrheit, Sie ſehen daraus, daß ſolche von außerordentlicher Art iſt, und großartig hervor¬ ragt uͤber das gewoͤhnlich naͤrriſche Treiben der Menſchen. Leſen Sie meinen Ratcliff, meinen Almanſor, mein lyriſches Intermezzo — Ver¬ nunft! Vernunft! nichts als Vernunft! — und Sie erſchrecken ob der Hoͤhe meiner Narrheit.
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und ſie gewaͤhrt mir nichts. Ich kann nicht
von ihr laſſen. Und wie einſt der juͤdiſche Koͤ¬
nig Salomon im Hohenliede die chriſtliche
Kirche beſungen, und zwar unter dem Bilde
eines ſchwarzen, liebegluͤhenden Maͤdchens, da¬
mit ſeine Juden nichts merkten; ſo habe ich
in unzaͤhligen Liedern juſt das Gegentheil, naͤm¬
lich die Vernunft, beſungen, und zwar unter
dem Bilde einer weißen, kalten Jungfrau, die
mich anzieht und abſtoͤßt, mir bald laͤchelt, bald
zuͤrnt, und mir endlich gar den Ruͤcken kehrt.
Dieſes Geheimniß meiner ungluͤcklichen Liebe,
das ich niemanden offenbare, giebt Ihnen, Ma¬
dame, einen Maaßſtab zur Wuͤrdigung meiner
Narrheit, Sie ſehen daraus, daß ſolche von
außerordentlicher Art iſt, und großartig hervor¬
ragt uͤber das gewoͤhnlich naͤrriſche Treiben der
Menſchen. Leſen Sie meinen Ratcliff, meinen
Almanſor, mein lyriſches Intermezzo — Ver¬
nunft! Vernunft! nichts als Vernunft! — und
Sie erſchrecken ob der Hoͤhe meiner Narrheit.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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