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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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scheiden können, ob sie Heiligenbilder sind oder
Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieser rei¬
nen Züge hat mich besser gemacht; andächtige
Gefühle durchschauern mich, ich höre Engelstim¬
nen, unsichtbare Friedenspalmen fächeln, in
meine Seele steigt ein großer Hymnus -- da
erklirren plötzlich schnarrende Harfensaiten, und
eine Alteweiberstimme quäkt: "Wir winden dir
den Jungfernkranz u. s. w."

Und nun den ganzen Tag verläßt mich nicht
das vermaledeite Lied. Die schönsten Momente
verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tisch
sitze, wird es mir vom Sänger Heinsius als
Dessert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag
werde ich mit "veilchenblauer Seide" gewürgt.
Dort wird der Jungfernkranz von einem Lah¬
men abgeorgelt, hier wird er von einem Blin¬
den heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk
erst recht los. Das ist ein Flöten, und ein
Gröhlen, und ein Fistuliren, und ein Gurgeln,

ſcheiden koͤnnen, ob ſie Heiligenbilder ſind oder
Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieſer rei¬
nen Zuͤge hat mich beſſer gemacht; andaͤchtige
Gefuͤhle durchſchauern mich, ich hoͤre Engelſtim¬
nen, unſichtbare Friedenspalmen faͤcheln, in
meine Seele ſteigt ein großer Hymnus — da
erklirren ploͤtzlich ſchnarrende Harfenſaiten, und
eine Alteweiberſtimme quaͤkt: “Wir winden dir
den Jungfernkranz u. ſ. w.”

Und nun den ganzen Tag verlaͤßt mich nicht
das vermaledeite Lied. Die ſchoͤnſten Momente
verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tiſch
ſitze, wird es mir vom Saͤnger Heinſius als
Deſſert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag
werde ich mit “veilchenblauer Seide” gewuͤrgt.
Dort wird der Jungfernkranz von einem Lah¬
men abgeorgelt, hier wird er von einem Blin¬
den heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk
erſt recht los. Das iſt ein Floͤten, und ein
Groͤhlen, und ein Fiſtuliren, und ein Gurgeln,

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[306/0314] ſcheiden koͤnnen, ob ſie Heiligenbilder ſind oder Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieſer rei¬ nen Zuͤge hat mich beſſer gemacht; andaͤchtige Gefuͤhle durchſchauern mich, ich hoͤre Engelſtim¬ nen, unſichtbare Friedenspalmen faͤcheln, in meine Seele ſteigt ein großer Hymnus — da erklirren ploͤtzlich ſchnarrende Harfenſaiten, und eine Alteweiberſtimme quaͤkt: “Wir winden dir den Jungfernkranz u. ſ. w.” Und nun den ganzen Tag verlaͤßt mich nicht das vermaledeite Lied. Die ſchoͤnſten Momente verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tiſch ſitze, wird es mir vom Saͤnger Heinſius als Deſſert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag werde ich mit “veilchenblauer Seide” gewuͤrgt. Dort wird der Jungfernkranz von einem Lah¬ men abgeorgelt, hier wird er von einem Blin¬ den heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk erſt recht los. Das iſt ein Floͤten, und ein Groͤhlen, und ein Fiſtuliren, und ein Gurgeln,

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/314>, abgerufen am 21.11.2024.