Der hannövrische Adel ist mit Goethe sehr unzufrieden, und behauptet: er verbreite Irre¬ ligiosität, und diese könne leicht auch falsche politische Ansichten hervorbringen, und das Volk müsse doch durch den alten Glauben zur alten Bescheidenheit und Mäßigung zurückgeführt wer¬ den. Auch hörte ich in der letzten Zeit viel diskutiren: ob Goethe größer sey als Schiller, oder umgekehrt. Ich stand neulich hinter dem Stuhle einer Dame, der man schon von hinten ihre vier und sechzig Ahnen ansehen konnte, und hörte über jenes Thema einen eifrigen Dis¬ kurs zwischen ihr und zwey hannövrischen No¬ bilis, deren Ahnen schon auf dem Zodiakus von Dendera abgebildet sind, und wovon der Eine, ein langmagerer, quecksilbergefüllter Jüngling, der wie ein Barometer aussah, die Schillersche Tugend und Reinheit pries, während der An¬ dre, ebenfalls ein langaufgeschossener Jüngling,
eine etwas derbe Aeußerung uͤbel genommen hatte.“
Der hannoͤvriſche Adel iſt mit Goethe ſehr unzufrieden, und behauptet: er verbreite Irre¬ ligioſitaͤt, und dieſe koͤnne leicht auch falſche politiſche Anſichten hervorbringen, und das Volk muͤſſe doch durch den alten Glauben zur alten Beſcheidenheit und Maͤßigung zuruͤckgefuͤhrt wer¬ den. Auch hoͤrte ich in der letzten Zeit viel diskutiren: ob Goethe groͤßer ſey als Schiller, oder umgekehrt. Ich ſtand neulich hinter dem Stuhle einer Dame, der man ſchon von hinten ihre vier und ſechzig Ahnen anſehen konnte, und hoͤrte uͤber jenes Thema einen eifrigen Dis¬ kurs zwiſchen ihr und zwey hannoͤvriſchen No¬ bilis, deren Ahnen ſchon auf dem Zodiakus von Dendera abgebildet ſind, und wovon der Eine, ein langmagerer, queckſilbergefuͤllter Juͤngling, der wie ein Barometer ausſah, die Schillerſche Tugend und Reinheit pries, waͤhrend der An¬ dre, ebenfalls ein langaufgeſchoſſener Juͤngling,
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eine etwas derbe Aeußerung uͤbel genommen
hatte.“
Der hannoͤvriſche Adel iſt mit Goethe ſehr
unzufrieden, und behauptet: er verbreite Irre¬
ligioſitaͤt, und dieſe koͤnne leicht auch falſche
politiſche Anſichten hervorbringen, und das Volk
muͤſſe doch durch den alten Glauben zur alten
Beſcheidenheit und Maͤßigung zuruͤckgefuͤhrt wer¬
den. Auch hoͤrte ich in der letzten Zeit viel
diskutiren: ob Goethe groͤßer ſey als Schiller,
oder umgekehrt. Ich ſtand neulich hinter dem
Stuhle einer Dame, der man ſchon von hinten
ihre vier und ſechzig Ahnen anſehen konnte,
und hoͤrte uͤber jenes Thema einen eifrigen Dis¬
kurs zwiſchen ihr und zwey hannoͤvriſchen No¬
bilis, deren Ahnen ſchon auf dem Zodiakus von
Dendera abgebildet ſind, und wovon der Eine,
ein langmagerer, queckſilbergefuͤllter Juͤngling,
der wie ein Barometer ausſah, die Schillerſche
Tugend und Reinheit pries, waͤhrend der An¬
dre, ebenfalls ein langaufgeſchoſſener Juͤngling,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/68>, abgerufen am 21.11.2024.
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