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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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duften und leuchten und verschwinden wieder --
"Eveline!"

Man sagt, unfern dieser Insel, wo jetzt
nichts als Wasser ist, hätten einst die schönsten
Dörfer und Städte gestanden, das Meer habe
sie plötzlich alle überschwemmt, und bey klarem
Wetter sähen die Schiffer noch die leuchtenden
Spitzen der versunkenen Kirchthürme, und man¬
cher habe dort, in der Sonntagsfrühe, sogar ein
frommes Glockengeläute gehört. Die Geschichte
ist wahr; denn das Meer ist meine Seele --

"Eine schöne Welt ist da versunken,
Ihre Trümmer blieben unten stehn,
Lassen sich als goldne Himmelsfunken
Oft im Spiegel meiner Träume sehn."

(W. Müller.)

Erwachend höre ich dann ein verhallendes
Glockengeläute und Gesang heiliger Stimmen --
"Eveline!"

Geht man am Strande spatzieren, so gewäh¬
ren die vorbeyfahrenden Schiffe einen schönen

duften und leuchten und verſchwinden wieder —
„Eveline!“

Man ſagt, unfern dieſer Inſel, wo jetzt
nichts als Waſſer iſt, haͤtten einſt die ſchoͤnſten
Doͤrfer und Staͤdte geſtanden, das Meer habe
ſie ploͤtzlich alle uͤberſchwemmt, und bey klarem
Wetter ſaͤhen die Schiffer noch die leuchtenden
Spitzen der verſunkenen Kirchthuͤrme, und man¬
cher habe dort, in der Sonntagsfruͤhe, ſogar ein
frommes Glockengelaͤute gehoͤrt. Die Geſchichte
iſt wahr; denn das Meer iſt meine Seele —

„Eine ſchoͤne Welt iſt da verſunken,
Ihre Truͤmmer blieben unten ſtehn,
Laſſen ſich als goldne Himmelsfunken
Oft im Spiegel meiner Traͤume ſehn.“

(W. Muͤller.)

Erwachend hoͤre ich dann ein verhallendes
Glockengelaͤute und Geſang heiliger Stimmen —
„Eveline!“

Geht man am Strande ſpatzieren, ſo gewaͤh¬
ren die vorbeyfahrenden Schiffe einen ſchoͤnen

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[71/0079] duften und leuchten und verſchwinden wieder — „Eveline!“ Man ſagt, unfern dieſer Inſel, wo jetzt nichts als Waſſer iſt, haͤtten einſt die ſchoͤnſten Doͤrfer und Staͤdte geſtanden, das Meer habe ſie ploͤtzlich alle uͤberſchwemmt, und bey klarem Wetter ſaͤhen die Schiffer noch die leuchtenden Spitzen der verſunkenen Kirchthuͤrme, und man¬ cher habe dort, in der Sonntagsfruͤhe, ſogar ein frommes Glockengelaͤute gehoͤrt. Die Geſchichte iſt wahr; denn das Meer iſt meine Seele — „Eine ſchoͤne Welt iſt da verſunken, Ihre Truͤmmer blieben unten ſtehn, Laſſen ſich als goldne Himmelsfunken Oft im Spiegel meiner Traͤume ſehn.“ (W. Muͤller.) Erwachend hoͤre ich dann ein verhallendes Glockengelaͤute und Geſang heiliger Stimmen — „Eveline!“ Geht man am Strande ſpatzieren, ſo gewaͤh¬ ren die vorbeyfahrenden Schiffe einen ſchoͤnen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/79>, abgerufen am 21.11.2024.