Wer doch mit der Allwissenheit des Vergan¬ genen, auf das Treiben der Menschen von oben herab sehen könnte! Wenn ich des Nachts am Meere wandelnd, den Wellengesang höre, und allerley Ahnung und Erinnerung in mir erwacht, so ist mir, als habe ich einst solchermaßen von oben herabgesehen und sey vor schwindelndem Schrecken zur Erde heruntergefallen; es ist mir dann auch, als seyen meine Augen so telescopisch scharf gewesen, daß ich die Sterne in Lebens¬ größe am Himmel wandeln gesehen, und durch all den wirbelnden Glanz geblendet worden; -- wie aus der Tiefe eines Jahrtausends kommen mir dann allerley Gedanken in den Sinn, Ge¬ danken uralter Weisheit, aber sie sind so neblicht, daß ich nicht erkenne, was sie wollen. Nur so viel weiß ich, daß all unser kluges Wissen, Stre¬ ben und Hervorbringen irgend einem höheren Geiste eben so klein und nichtig erscheinen muß, wie mir jene Spinne erschien, die ich auf der göttinger Bibliothek so oft betrachtete. Auf den
Wer doch mit der Allwiſſenheit des Vergan¬ genen, auf das Treiben der Menſchen von oben herab ſehen koͤnnte! Wenn ich des Nachts am Meere wandelnd, den Wellengeſang hoͤre, und allerley Ahnung und Erinnerung in mir erwacht, ſo iſt mir, als habe ich einſt ſolchermaßen von oben herabgeſehen und ſey vor ſchwindelndem Schrecken zur Erde heruntergefallen; es iſt mir dann auch, als ſeyen meine Augen ſo teleſcopiſch ſcharf geweſen, daß ich die Sterne in Lebens¬ groͤße am Himmel wandeln geſehen, und durch all den wirbelnden Glanz geblendet worden; — wie aus der Tiefe eines Jahrtauſends kommen mir dann allerley Gedanken in den Sinn, Ge¬ danken uralter Weisheit, aber ſie ſind ſo neblicht, daß ich nicht erkenne, was ſie wollen. Nur ſo viel weiß ich, daß all unſer kluges Wiſſen, Stre¬ ben und Hervorbringen irgend einem hoͤheren Geiſte eben ſo klein und nichtig erſcheinen muß, wie mir jene Spinne erſchien, die ich auf der goͤttinger Bibliothek ſo oft betrachtete. Auf den
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Wer doch mit der Allwiſſenheit des Vergan¬
genen, auf das Treiben der Menſchen von oben
herab ſehen koͤnnte! Wenn ich des Nachts am
Meere wandelnd, den Wellengeſang hoͤre, und
allerley Ahnung und Erinnerung in mir erwacht,
ſo iſt mir, als habe ich einſt ſolchermaßen von
oben herabgeſehen und ſey vor ſchwindelndem
Schrecken zur Erde heruntergefallen; es iſt mir
dann auch, als ſeyen meine Augen ſo teleſcopiſch
ſcharf geweſen, daß ich die Sterne in Lebens¬
groͤße am Himmel wandeln geſehen, und durch
all den wirbelnden Glanz geblendet worden; —
wie aus der Tiefe eines Jahrtauſends kommen
mir dann allerley Gedanken in den Sinn, Ge¬
danken uralter Weisheit, aber ſie ſind ſo neblicht,
daß ich nicht erkenne, was ſie wollen. Nur ſo
viel weiß ich, daß all unſer kluges Wiſſen, Stre¬
ben und Hervorbringen irgend einem hoͤheren
Geiſte eben ſo klein und nichtig erſcheinen muß,
wie mir jene Spinne erſchien, die ich auf der
goͤttinger Bibliothek ſo oft betrachtete. Auf den
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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