wildfremden Erscheinung, es war schon der ruhige Geist, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht liest, jene Frauenbilder mit entzückt besonnenem Auge betrachtete. Und bei solcher Betrachtung entdeckt man viel, viel Trübes, den Reichthum der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart und den zurückgebliebenen Stolz. Gern möchten die Töchter Trients sich noch schmücken wie zu den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt blühte in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat wenig ausgerichtet, der Sammt ist abgeschabt, die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb nichts als kümmerlicher Flitterstaat, den sie in der Woche ängstlich schonen, und womit sie sich nur noch des Sonntags putzen. Manche aber entbehren auch dieser Reste eines verschollenen Luxus, und müssen sich mit allerlei ordinairen und wohlfeilen Fabrikaten unsers Zeitalters be¬ helfen. Da giebt es nun gar rührende Contraste zwischen Leib und Kleid; der feingeschnittene
wildfremden Erſcheinung, es war ſchon der ruhige Geiſt, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht lieſt, jene Frauenbilder mit entzuͤckt beſonnenem Auge betrachtete. Und bei ſolcher Betrachtung entdeckt man viel, viel Truͤbes, den Reichthum der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart und den zuruͤckgebliebenen Stolz. Gern moͤchten die Toͤchter Trients ſich noch ſchmuͤcken wie zu den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt bluͤhte in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat wenig ausgerichtet, der Sammt iſt abgeſchabt, die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb nichts als kuͤmmerlicher Flitterſtaat, den ſie in der Woche aͤngſtlich ſchonen, und womit ſie ſich nur noch des Sonntags putzen. Manche aber entbehren auch dieſer Reſte eines verſchollenen Luxus, und muͤſſen ſich mit allerlei ordinairen und wohlfeilen Fabrikaten unſers Zeitalters be¬ helfen. Da giebt es nun gar ruͤhrende Contraſte zwiſchen Leib und Kleid; der feingeſchnittene
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wildfremden Erſcheinung, es war ſchon der ruhige
Geiſt, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht
lieſt, jene Frauenbilder mit entzuͤckt beſonnenem
Auge betrachtete. Und bei ſolcher Betrachtung
entdeckt man viel, viel Truͤbes, den Reichthum
der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart
und den zuruͤckgebliebenen Stolz. Gern moͤchten
die Toͤchter Trients ſich noch ſchmuͤcken wie zu
den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt bluͤhte
in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat
wenig ausgerichtet, der Sammt iſt abgeſchabt,
die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb
nichts als kuͤmmerlicher Flitterſtaat, den ſie in
der Woche aͤngſtlich ſchonen, und womit ſie ſich
nur noch des Sonntags putzen. Manche aber
entbehren auch dieſer Reſte eines verſchollenen
Luxus, und muͤſſen ſich mit allerlei ordinairen
und wohlfeilen Fabrikaten unſers Zeitalters be¬
helfen. Da giebt es nun gar ruͤhrende Contraſte
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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