Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

mit nach Italien gekommen, und sie freuen sich
jetzt, und eben ihr gemeinschaftlicher Jubel erregt
nun in der Brust jenes pitoreske Weh, das darin
so seltsam sticht und hüpft und pfeift? Und
warum sollten sich die alten Schmerzen nicht
auch einmal freuen? Hier in Italien ist es ja
so schön, das Leiden selbst ist hier so schön, in
diesen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die
Seufzer viel romantischer, als in unseren netten
Ziegelhäuschen, unter jenen Lorbeerbäumen läßt sich
viel wollüstiger weinen als unter unseren mürrisch
zackigen Tannen, und nach den idealischen Wol¬
kenbildern des himmelblauen Italiens läßt sich
viel süßer hinaufschmachten als nach dem aschgrau
deutschen Werkeltagshimmel, wo sogar die Wol¬
ken nur ehrliche Spießbürgerfratzen schneiden
und langweilig herabgähnen! Bleibt nur in
meiner Brust, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬
gends ein besseres Unterkommen. Ihr seyd mir
lieb und werth, und keiner weiß Euch besser zu

mit nach Italien gekommen, und ſie freuen ſich
jetzt, und eben ihr gemeinſchaftlicher Jubel erregt
nun in der Bruſt jenes pitoreske Weh, das darin
ſo ſeltſam ſticht und huͤpft und pfeift? Und
warum ſollten ſich die alten Schmerzen nicht
auch einmal freuen? Hier in Italien iſt es ja
ſo ſchoͤn, das Leiden ſelbſt iſt hier ſo ſchoͤn, in
dieſen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die
Seufzer viel romantiſcher, als in unſeren netten
Ziegelhaͤuschen, unter jenen Lorbeerbaͤumen laͤßt ſich
viel wolluͤſtiger weinen als unter unſeren muͤrriſch
zackigen Tannen, und nach den idealiſchen Wol¬
kenbildern des himmelblauen Italiens laͤßt ſich
viel ſuͤßer hinaufſchmachten als nach dem aſchgrau
deutſchen Werkeltagshimmel, wo ſogar die Wol¬
ken nur ehrliche Spießbuͤrgerfratzen ſchneiden
und langweilig herabgaͤhnen! Bleibt nur in
meiner Bruſt, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬
gends ein beſſeres Unterkommen. Ihr ſeyd mir
lieb und werth, und keiner weiß Euch beſſer zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="107"/>
mit nach Italien gekommen, und &#x017F;ie freuen &#x017F;ich<lb/>
jetzt, und eben ihr gemein&#x017F;chaftlicher Jubel erregt<lb/>
nun in der Bru&#x017F;t jenes pitoreske Weh, das darin<lb/>
&#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am &#x017F;ticht und hu&#x0364;pft und pfeift? Und<lb/>
warum &#x017F;ollten &#x017F;ich die alten Schmerzen nicht<lb/>
auch einmal freuen? Hier in Italien i&#x017F;t es ja<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n, das Leiden &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t hier &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n, in<lb/>
die&#x017F;en gebrochenen Marmorpallazzos klingen die<lb/>
Seufzer viel romanti&#x017F;cher, als in un&#x017F;eren netten<lb/>
Ziegelha&#x0364;uschen, unter jenen Lorbeerba&#x0364;umen la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
viel wollu&#x0364;&#x017F;tiger weinen als unter un&#x017F;eren mu&#x0364;rri&#x017F;ch<lb/>
zackigen Tannen, und nach den ideali&#x017F;chen Wol¬<lb/>
kenbildern des himmelblauen Italiens la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
viel &#x017F;u&#x0364;ßer hinauf&#x017F;chmachten als nach dem a&#x017F;chgrau<lb/>
deut&#x017F;chen Werkeltagshimmel, wo &#x017F;ogar die Wol¬<lb/>
ken nur ehrliche Spießbu&#x0364;rgerfratzen &#x017F;chneiden<lb/>
und langweilig herabga&#x0364;hnen! Bleibt nur in<lb/>
meiner Bru&#x017F;t, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬<lb/>
gends ein be&#x017F;&#x017F;eres Unterkommen. Ihr &#x017F;eyd mir<lb/>
lieb und werth, und keiner weiß Euch be&#x017F;&#x017F;er zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0115] mit nach Italien gekommen, und ſie freuen ſich jetzt, und eben ihr gemeinſchaftlicher Jubel erregt nun in der Bruſt jenes pitoreske Weh, das darin ſo ſeltſam ſticht und huͤpft und pfeift? Und warum ſollten ſich die alten Schmerzen nicht auch einmal freuen? Hier in Italien iſt es ja ſo ſchoͤn, das Leiden ſelbſt iſt hier ſo ſchoͤn, in dieſen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die Seufzer viel romantiſcher, als in unſeren netten Ziegelhaͤuschen, unter jenen Lorbeerbaͤumen laͤßt ſich viel wolluͤſtiger weinen als unter unſeren muͤrriſch zackigen Tannen, und nach den idealiſchen Wol¬ kenbildern des himmelblauen Italiens laͤßt ſich viel ſuͤßer hinaufſchmachten als nach dem aſchgrau deutſchen Werkeltagshimmel, wo ſogar die Wol¬ ken nur ehrliche Spießbuͤrgerfratzen ſchneiden und langweilig herabgaͤhnen! Bleibt nur in meiner Bruſt, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬ gends ein beſſeres Unterkommen. Ihr ſeyd mir lieb und werth, und keiner weiß Euch beſſer zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/115
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/115>, abgerufen am 21.11.2024.