gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem züchtigen Weibe. Daher das bleichsüchtige Welken und der zuckende Mißmuth des schönen Gesichtes, dessen stolzgeschwungene Formen jedes ahnende Mitleid gleichsam verhöhn¬ ten; daher die verborgene Kümmerlichkeit der Augen, die unter ihren schwarzen Triumphbogen so herausfordernd leuchteten; daher der tiefe Schmerzenston, der so unheimlich kontrastirte mit den lachend schönen Lippen, denen er ent¬ schlüpfte; daher die Krankhaftigkeit der über¬ zarten Glieder, die ein kurzes, ängstlich violettes Seidenkleidchen so tief als möglich umflatterte. Dabei flaggten grellbunte Atlasbänder auf dem verjährten Strohhut und die Brust zierte gar sinnbildlich eine offne Rosenknospe, die mehr gewaltsam aufgerissen als in eige¬ ner Entfaltung aus der grünen Hülle her¬ vorgeblüht zu seyn schien. Indessen, über dem unglücklichen Mädchen, diesem Frühling,
gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem zuͤchtigen Weibe. Daher das bleichſuͤchtige Welken und der zuckende Mißmuth des ſchoͤnen Geſichtes, deſſen ſtolzgeſchwungene Formen jedes ahnende Mitleid gleichſam verhoͤhn¬ ten; daher die verborgene Kuͤmmerlichkeit der Augen, die unter ihren ſchwarzen Triumphbogen ſo herausfordernd leuchteten; daher der tiefe Schmerzenston, der ſo unheimlich kontraſtirte mit den lachend ſchoͤnen Lippen, denen er ent¬ ſchluͤpfte; daher die Krankhaftigkeit der uͤber¬ zarten Glieder, die ein kurzes, aͤngſtlich violettes Seidenkleidchen ſo tief als moͤglich umflatterte. Dabei flaggten grellbunte Atlasbaͤnder auf dem verjaͤhrten Strohhut und die Bruſt zierte gar ſinnbildlich eine offne Roſenknoſpe, die mehr gewaltſam aufgeriſſen als in eige¬ ner Entfaltung aus der gruͤnen Huͤlle her¬ vorgebluͤht zu ſeyn ſchien. Indeſſen, uͤber dem ungluͤcklichen Maͤdchen, dieſem Fruͤhling,
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gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und
zwar zu keinem zuͤchtigen Weibe. Daher das
bleichſuͤchtige Welken und der zuckende Mißmuth
des ſchoͤnen Geſichtes, deſſen ſtolzgeſchwungene
Formen jedes ahnende Mitleid gleichſam verhoͤhn¬
ten; daher die verborgene Kuͤmmerlichkeit der
Augen, die unter ihren ſchwarzen Triumphbogen
ſo herausfordernd leuchteten; daher der tiefe
Schmerzenston, der ſo unheimlich kontraſtirte
mit den lachend ſchoͤnen Lippen, denen er ent¬
ſchluͤpfte; daher die Krankhaftigkeit der uͤber¬
zarten Glieder, die ein kurzes, aͤngſtlich violettes
Seidenkleidchen ſo tief als moͤglich umflatterte.
Dabei flaggten grellbunte Atlasbaͤnder auf
dem verjaͤhrten Strohhut und die Bruſt
zierte gar ſinnbildlich eine offne Roſenknoſpe,
die mehr gewaltſam aufgeriſſen als in eige¬
ner Entfaltung aus der gruͤnen Huͤlle her¬
vorgebluͤht zu ſeyn ſchien. Indeſſen, uͤber
dem ungluͤcklichen Maͤdchen, dieſem Fruͤhling,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/118>, abgerufen am 24.11.2024.
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