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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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den der Tod schon verderblich angehaucht, lag
eine unbeschreibliche Anmuth, eine Grazie, die
sich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem
Tone kund gab, und selbst dann nicht ganz sich
verläugnete, wenn sie mit vorgeworfenem Leibchen
und ironischer Lüsternheit dem alten Vater ent¬
gegen tänzelte, der eben so unsittsam, mit vorge¬
strecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte.
Je frecher sie sich gebehrdete, desto tieferes Mit¬
leiden flößte sie mir ein, und wenn ihr Gesang
dann weich und wunderbar aus ihrer Brust
hervorstieg und gleichsam um Verzeihung bat,
dann jauchzten in meiner Brust die kleinen
Schlangen, und bissen sich vor Vergnügen in
den Schwanz. Auch die Rose schien mich dann
wie bittend anzusehen, einmal sah ich sie sogar
zittern, erbleichen -- aber in demselben Augen¬
blick schlugen die Triller des Mädchens um so
lachender in die Höhe, der Alte meckerte noch
verliebter, und das rothe Cometgesicht marterte

den der Tod ſchon verderblich angehaucht, lag
eine unbeſchreibliche Anmuth, eine Grazie, die
ſich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem
Tone kund gab, und ſelbſt dann nicht ganz ſich
verlaͤugnete, wenn ſie mit vorgeworfenem Leibchen
und ironiſcher Luͤſternheit dem alten Vater ent¬
gegen taͤnzelte, der eben ſo unſittſam, mit vorge¬
ſtrecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte.
Je frecher ſie ſich gebehrdete, deſto tieferes Mit¬
leiden floͤßte ſie mir ein, und wenn ihr Geſang
dann weich und wunderbar aus ihrer Bruſt
hervorſtieg und gleichſam um Verzeihung bat,
dann jauchzten in meiner Bruſt die kleinen
Schlangen, und biſſen ſich vor Vergnuͤgen in
den Schwanz. Auch die Roſe ſchien mich dann
wie bittend anzuſehen, einmal ſah ich ſie ſogar
zittern, erbleichen — aber in demſelben Augen¬
blick ſchlugen die Triller des Maͤdchens um ſo
lachender in die Hoͤhe, der Alte meckerte noch
verliebter, und das rothe Cometgeſicht marterte

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[111/0119] den der Tod ſchon verderblich angehaucht, lag eine unbeſchreibliche Anmuth, eine Grazie, die ſich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem Tone kund gab, und ſelbſt dann nicht ganz ſich verlaͤugnete, wenn ſie mit vorgeworfenem Leibchen und ironiſcher Luͤſternheit dem alten Vater ent¬ gegen taͤnzelte, der eben ſo unſittſam, mit vorge¬ ſtrecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte. Je frecher ſie ſich gebehrdete, deſto tieferes Mit¬ leiden floͤßte ſie mir ein, und wenn ihr Geſang dann weich und wunderbar aus ihrer Bruſt hervorſtieg und gleichſam um Verzeihung bat, dann jauchzten in meiner Bruſt die kleinen Schlangen, und biſſen ſich vor Vergnuͤgen in den Schwanz. Auch die Roſe ſchien mich dann wie bittend anzuſehen, einmal ſah ich ſie ſogar zittern, erbleichen — aber in demſelben Augen¬ blick ſchlugen die Triller des Maͤdchens um ſo lachender in die Hoͤhe, der Alte meckerte noch verliebter, und das rothe Cometgeſicht marterte

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/119>, abgerufen am 21.11.2024.