schien in Angst zu gerathen, und flüsterte begüti¬ gende Worte, die aber eine entgegengesetzte Wir¬ kung hervorbrachten, so daß der rasende Mensch eine eiserne Schaufel ergriff, einige unglückliche Teller und Flaschen zerschlug, und auch die arme Frau geschlagen haben würde, hätte nicht die Tochter ein langes Küchenmesser erfaßt und ihn niederzustechen gedroht, im Fall er nicht sogleich abzöge.
Es war ein schöner Anblick, das Mädchen stand da blaßgelb und vor Zorn erstarrend, wie ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die Augen tief und tödlich, eine blaugeschwollene Ader quer über der Stirn, die schwarzen Locken wie flatternde Schlangen, in den Händen ihr blutiges Messer -- Ich schauerte vor Lust, denn leibhaftig sah ich vor mir das Bild der Medea, wie ich es oft geträumt in meinen Jugendnäch¬ ten, wenn ich entschlummert war an dem lieben Herzen Melpomene's, der finster schönen Göttin.
ſchien in Angſt zu gerathen, und fluͤſterte beguͤti¬ gende Worte, die aber eine entgegengeſetzte Wir¬ kung hervorbrachten, ſo daß der raſende Menſch eine eiſerne Schaufel ergriff, einige ungluͤckliche Teller und Flaſchen zerſchlug, und auch die arme Frau geſchlagen haben wuͤrde, haͤtte nicht die Tochter ein langes Kuͤchenmeſſer erfaßt und ihn niederzuſtechen gedroht, im Fall er nicht ſogleich abzoͤge.
Es war ein ſchoͤner Anblick, das Maͤdchen ſtand da blaßgelb und vor Zorn erſtarrend, wie ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die Augen tief und toͤdlich, eine blaugeſchwollene Ader quer uͤber der Stirn, die ſchwarzen Locken wie flatternde Schlangen, in den Haͤnden ihr blutiges Meſſer — Ich ſchauerte vor Luſt, denn leibhaftig ſah ich vor mir das Bild der Medea, wie ich es oft getraͤumt in meinen Jugendnaͤch¬ ten, wenn ich entſchlummert war an dem lieben Herzen Melpomene's, der finſter ſchoͤnen Goͤttin.
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ſchien in Angſt zu gerathen, und fluͤſterte beguͤti¬
gende Worte, die aber eine entgegengeſetzte Wir¬
kung hervorbrachten, ſo daß der raſende Menſch
eine eiſerne Schaufel ergriff, einige ungluͤckliche
Teller und Flaſchen zerſchlug, und auch die arme
Frau geſchlagen haben wuͤrde, haͤtte nicht die
Tochter ein langes Kuͤchenmeſſer erfaßt und
ihn niederzuſtechen gedroht, im Fall er nicht
ſogleich abzoͤge.
Es war ein ſchoͤner Anblick, das Maͤdchen
ſtand da blaßgelb und vor Zorn erſtarrend, wie
ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die
Augen tief und toͤdlich, eine blaugeſchwollene
Ader quer uͤber der Stirn, die ſchwarzen Locken
wie flatternde Schlangen, in den Haͤnden ihr
blutiges Meſſer — Ich ſchauerte vor Luſt, denn
leibhaftig ſah ich vor mir das Bild der Medea,
wie ich es oft getraͤumt in meinen Jugendnaͤch¬
ten, wenn ich entſchlummert war an dem lieben
Herzen Melpomene's, der finſter ſchoͤnen Goͤttin.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/138>, abgerufen am 21.11.2024.
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