Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬
köpfigen Silberstäbchen. Die Bäurinnen hatten
meist kleine, tellerartige Strohhütchen mit koket¬
tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes
gebunden. Die Tracht der Männer war minder
abweichend von der unsrigen, und nur die unge¬
heuern schwarzen Backenbärte, die aus der Cra¬
vatte hervorbuschten, waren mir hier, wo ich
diese Mode zuerst bemerkte, etwas auffallend.

Betrachtete man aber genauer diese Men¬
schen, die Männer wie die Frauen, so ent¬
deckte man, in ihren Gesichtern und in ihrem
ganzen Wesen, die Spuren einer Civilisazion,
die sich von der unsrigen in sofern unterscheidet,
daß sie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬
vorgegangen, sondern noch aus der Römerzeit
herrührt, nie ganz vertilgt worden ist, und
sich nur nach dem jedesmaligen Charakter der
Landesherrscher modifizirt hat. Die Civilisazion

goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬
koͤpfigen Silberſtaͤbchen. Die Baͤurinnen hatten
meiſt kleine, tellerartige Strohhuͤtchen mit koket¬
tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes
gebunden. Die Tracht der Maͤnner war minder
abweichend von der unſrigen, und nur die unge¬
heuern ſchwarzen Backenbaͤrte, die aus der Cra¬
vatte hervorbuſchten, waren mir hier, wo ich
dieſe Mode zuerſt bemerkte, etwas auffallend.

Betrachtete man aber genauer dieſe Men¬
ſchen, die Maͤnner wie die Frauen, ſo ent¬
deckte man, in ihren Geſichtern und in ihrem
ganzen Weſen, die Spuren einer Civiliſazion,
die ſich von der unſrigen in ſofern unterſcheidet,
daß ſie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬
vorgegangen, ſondern noch aus der Roͤmerzeit
herruͤhrt, nie ganz vertilgt worden iſt, und
ſich nur nach dem jedesmaligen Charakter der
Landesherrſcher modifizirt hat. Die Civiliſazion

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0146" n="138"/>
goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬<lb/>
ko&#x0364;pfigen Silber&#x017F;ta&#x0364;bchen. Die Ba&#x0364;urinnen hatten<lb/>
mei&#x017F;t kleine, tellerartige Strohhu&#x0364;tchen mit koket¬<lb/>
tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes<lb/>
gebunden. Die Tracht der Ma&#x0364;nner war minder<lb/>
abweichend von der un&#x017F;rigen, und nur die unge¬<lb/>
heuern &#x017F;chwarzen Backenba&#x0364;rte, die aus der Cra¬<lb/>
vatte hervorbu&#x017F;chten, waren mir hier, wo ich<lb/>
die&#x017F;e Mode zuer&#x017F;t bemerkte, etwas auffallend.</p><lb/>
          <p>Betrachtete man aber genauer die&#x017F;e Men¬<lb/>
&#x017F;chen, die Ma&#x0364;nner wie die Frauen, &#x017F;o ent¬<lb/>
deckte man, in ihren Ge&#x017F;ichtern und in ihrem<lb/>
ganzen We&#x017F;en, die Spuren einer Civili&#x017F;azion,<lb/>
die &#x017F;ich von der un&#x017F;rigen in &#x017F;ofern unter&#x017F;cheidet,<lb/>
daß &#x017F;ie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬<lb/>
vorgegangen, &#x017F;ondern noch aus der Ro&#x0364;merzeit<lb/>
herru&#x0364;hrt, nie ganz vertilgt worden i&#x017F;t, und<lb/>
&#x017F;ich nur nach dem jedesmaligen Charakter der<lb/>
Landesherr&#x017F;cher modifizirt hat. Die Civili&#x017F;azion<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0146] goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬ koͤpfigen Silberſtaͤbchen. Die Baͤurinnen hatten meiſt kleine, tellerartige Strohhuͤtchen mit koket¬ tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes gebunden. Die Tracht der Maͤnner war minder abweichend von der unſrigen, und nur die unge¬ heuern ſchwarzen Backenbaͤrte, die aus der Cra¬ vatte hervorbuſchten, waren mir hier, wo ich dieſe Mode zuerſt bemerkte, etwas auffallend. Betrachtete man aber genauer dieſe Men¬ ſchen, die Maͤnner wie die Frauen, ſo ent¬ deckte man, in ihren Geſichtern und in ihrem ganzen Weſen, die Spuren einer Civiliſazion, die ſich von der unſrigen in ſofern unterſcheidet, daß ſie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬ vorgegangen, ſondern noch aus der Roͤmerzeit herruͤhrt, nie ganz vertilgt worden iſt, und ſich nur nach dem jedesmaligen Charakter der Landesherrſcher modifizirt hat. Die Civiliſazion

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/146
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/146>, abgerufen am 24.11.2024.