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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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in dieser Beziehung München damit vergleichen,
so könnte man mit Recht behaupten: letzteres
bilde ganz den Gegensatz von Berlin. München
nemlich ist eine Stadt, gebaut von dem Volke
selbst, und zwar von auf einander folgenden
Generazionen, deren Geist noch immer in ihren
Bauwerken sichtbar, so daß man dort, wie in
der Hexenscene des Makbeth, eine chronologische
Geisterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiste
des Mittelalters, der geharnischt aus gothischen
Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet
lichten Geist unserer eignen Zeit, der uns einen
Spiegel entgegenhält, worin jeder sich selbst
mit Vergnügen anschaut. In dieser Reihenfolge
liegt eben das Versöhnende; das Barbarische
empört uns nicht mehr und das Abgeschmackte
verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfänge
und nothwendige Uebergänge betrachten. Wir
sind ernst, aber nicht unmuthig bey dem Anblick
jenes barbarischen Doms, der sich noch immer, in

in dieſer Beziehung Muͤnchen damit vergleichen,
ſo koͤnnte man mit Recht behaupten: letzteres
bilde ganz den Gegenſatz von Berlin. Muͤnchen
nemlich iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke
ſelbſt, und zwar von auf einander folgenden
Generazionen, deren Geiſt noch immer in ihren
Bauwerken ſichtbar, ſo daß man dort, wie in
der Hexenſcene des Makbeth, eine chronologiſche
Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiſte
des Mittelalters, der geharniſcht aus gothiſchen
Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet
lichten Geiſt unſerer eignen Zeit, der uns einen
Spiegel entgegenhaͤlt, worin jeder ſich ſelbſt
mit Vergnuͤgen anſchaut. In dieſer Reihenfolge
liegt eben das Verſoͤhnende; das Barbariſche
empoͤrt uns nicht mehr und das Abgeſchmackte
verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfaͤnge
und nothwendige Uebergaͤnge betrachten. Wir
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[16/0024] in dieſer Beziehung Muͤnchen damit vergleichen, ſo koͤnnte man mit Recht behaupten: letzteres bilde ganz den Gegenſatz von Berlin. Muͤnchen nemlich iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke ſelbſt, und zwar von auf einander folgenden Generazionen, deren Geiſt noch immer in ihren Bauwerken ſichtbar, ſo daß man dort, wie in der Hexenſcene des Makbeth, eine chronologiſche Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiſte des Mittelalters, der geharniſcht aus gothiſchen Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geiſt unſerer eignen Zeit, der uns einen Spiegel entgegenhaͤlt, worin jeder ſich ſelbſt mit Vergnuͤgen anſchaut. In dieſer Reihenfolge liegt eben das Verſoͤhnende; das Barbariſche empoͤrt uns nicht mehr und das Abgeſchmackte verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfaͤnge und nothwendige Uebergaͤnge betrachten. Wir ſind ernſt, aber nicht unmuthig bey dem Anblick jenes barbariſchen Doms, der ſich noch immer, in

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/24>, abgerufen am 21.11.2024.