rissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt ist, so mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es sey ganz geblieben, der gesteht nur, daß er ein prosaisches weitabge¬ legenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß ich, daß die großen Götter mich vor vielen Anderen hochbegnadigt und des Dichtermärtyrthums wür¬ dig geachtet haben.
Einst war die Welt ganz, im Alterthum und im Mittelalter, trotz der äußeren Kämpfe gab's doch noch immer eine Welteinheit, und es gab ganze Dichter. Wir wollen diese Dichter ehren und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nach¬ ahmung ihrer Ganzheit ist eine Lüge, eine Lüge, die jedes gesunde Auge durchschaut und die dem Hohne dann nicht entgeht. Jüngst, mit vieler Mühe, verschaffte ich mir in Berlin die Gedichte eines jener Ganzheitdichter, der über meine
riſſen iſt. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt iſt, ſo mußte es wohl in jetziger Zeit jaͤmmerlich zerriſſen werden. Wer von ſeinem Herzen ruͤhmt, es ſey ganz geblieben, der geſteht nur, daß er ein proſaiſches weitabge¬ legenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß ich, daß die großen Goͤtter mich vor vielen Anderen hochbegnadigt und des Dichtermaͤrtyrthums wuͤr¬ dig geachtet haben.
Einſt war die Welt ganz, im Alterthum und im Mittelalter, trotz der aͤußeren Kaͤmpfe gab's doch noch immer eine Welteinheit, und es gab ganze Dichter. Wir wollen dieſe Dichter ehren und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nach¬ ahmung ihrer Ganzheit iſt eine Luͤge, eine Luͤge, die jedes geſunde Auge durchſchaut und die dem Hohne dann nicht entgeht. Juͤngſt, mit vieler Muͤhe, verſchaffte ich mir in Berlin die Gedichte eines jener Ganzheitdichter, der uͤber meine
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riſſen iſt. Denn da das Herz des Dichters der
Mittelpunkt der Welt iſt, ſo mußte es wohl in
jetziger Zeit jaͤmmerlich zerriſſen werden. Wer
von ſeinem Herzen ruͤhmt, es ſey ganz geblieben,
der geſteht nur, daß er ein proſaiſches weitabge¬
legenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging
aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß
ich, daß die großen Goͤtter mich vor vielen Anderen
hochbegnadigt und des Dichtermaͤrtyrthums wuͤr¬
dig geachtet haben.
Einſt war die Welt ganz, im Alterthum und
im Mittelalter, trotz der aͤußeren Kaͤmpfe gab's
doch noch immer eine Welteinheit, und es gab
ganze Dichter. Wir wollen dieſe Dichter ehren
und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nach¬
ahmung ihrer Ganzheit iſt eine Luͤge, eine Luͤge,
die jedes geſunde Auge durchſchaut und die dem
Hohne dann nicht entgeht. Juͤngſt, mit vieler
Muͤhe, verſchaffte ich mir in Berlin die Gedichte
eines jener Ganzheitdichter, der uͤber meine
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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