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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Fünf und zwanzig Jahre hat sich seine Treue
bereits bewährt, und ich denke, er wird auch bis
an sein seliges Ende auf dem Schemel sitzen,
und auf Verlangen seine Verse rezitiren oder den
Spucknapf reichen. Der Professor der Juris¬
prudenz schleppt sich fast eben so lange schon in
den Liebesfesseln der Signora, er macht ihr noch
immer so eifrig die Cour wie im Anfang dieses
Jahrhunderts, er muß noch immer seine aka¬
demischen Vorlesungen unbarmherzig vertagen,
wenn sie seine Begleitung nach irgend einem Orte
verlangt, und er ist noch immer belastet mit
allen Servituten eines ächten Patito.

Die treue Ausdauer dieser beiden Anbeter
einer längst ruinirten Schönheit, mag vielleicht
Gewohnheit seyn, vielleicht Pietas gegen frühere
Gefühle, vielleicht nur das Gefühl selbst, das
sich von der jetzigen Beschaffenheit seines ehe¬
maligen Gegenstandes ganz unabhängig gemacht
hat, und diesen nur noch mit den Augen der

Fuͤnf und zwanzig Jahre hat ſich ſeine Treue
bereits bewaͤhrt, und ich denke, er wird auch bis
an ſein ſeliges Ende auf dem Schemel ſitzen,
und auf Verlangen ſeine Verſe rezitiren oder den
Spucknapf reichen. Der Profeſſor der Juris¬
prudenz ſchleppt ſich faſt eben ſo lange ſchon in
den Liebesfeſſeln der Signora, er macht ihr noch
immer ſo eifrig die Cour wie im Anfang dieſes
Jahrhunderts, er muß noch immer ſeine aka¬
demiſchen Vorleſungen unbarmherzig vertagen,
wenn ſie ſeine Begleitung nach irgend einem Orte
verlangt, und er iſt noch immer belaſtet mit
allen Servituten eines aͤchten Patito.

Die treue Ausdauer dieſer beiden Anbeter
einer laͤngſt ruinirten Schoͤnheit, mag vielleicht
Gewohnheit ſeyn, vielleicht Pietas gegen fruͤhere
Gefuͤhle, vielleicht nur das Gefuͤhl ſelbſt, das
ſich von der jetzigen Beſchaffenheit ſeines ehe¬
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hat, und dieſen nur noch mit den Augen der

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[260/0268] Fuͤnf und zwanzig Jahre hat ſich ſeine Treue bereits bewaͤhrt, und ich denke, er wird auch bis an ſein ſeliges Ende auf dem Schemel ſitzen, und auf Verlangen ſeine Verſe rezitiren oder den Spucknapf reichen. Der Profeſſor der Juris¬ prudenz ſchleppt ſich faſt eben ſo lange ſchon in den Liebesfeſſeln der Signora, er macht ihr noch immer ſo eifrig die Cour wie im Anfang dieſes Jahrhunderts, er muß noch immer ſeine aka¬ demiſchen Vorleſungen unbarmherzig vertagen, wenn ſie ſeine Begleitung nach irgend einem Orte verlangt, und er iſt noch immer belaſtet mit allen Servituten eines aͤchten Patito. Die treue Ausdauer dieſer beiden Anbeter einer laͤngſt ruinirten Schoͤnheit, mag vielleicht Gewohnheit ſeyn, vielleicht Pietas gegen fruͤhere Gefuͤhle, vielleicht nur das Gefuͤhl ſelbſt, das ſich von der jetzigen Beſchaffenheit ſeines ehe¬ maligen Gegenſtandes ganz unabhaͤngig gemacht hat, und dieſen nur noch mit den Augen der

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/268>, abgerufen am 16.07.2024.