rungen -- Was ist die Liebe? Hat keiner ihr Wesen ergründet? hat keiner das Räthsel gelöst? Vielleicht bringt solche Lösung größere Qual als das Räthsel selbst, und das Herz erschrickt und erstarrt darob, wie beim Anblick der Medusa. Schlangen ringeln sich um das schreckliche Wort, das dieses Räthsel auflöst -- O, ich will dieses Auflösungswort niemals wissen, das brennende Elend in meinem Herzen ist mir immer noch lieber als kalte Erstarrung. O, sprecht es nicht aus, Ihr gestorbenen Gestalten, die Ihr schmerz¬ los wie Stein, aber auch gefühllos wie Stein durch die Rosengärten dieser Welt wandelt, und mit bleichen Lippen auf den thörigten Gesellen herablächelt, der den Duft der Rosen preist und über Dornen klagt.
Wenn ich dir aber, lieber Leser, nicht zu sagen vermag, was die Liebe eigentlich ist, so könnte ich dir doch ganz ausführlich erzählen, wie man sich gebehrdet und wie einem zu Muth
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rungen — Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt? Vielleicht bringt ſolche Loͤſung groͤßere Qual als das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa. Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort, das dieſes Raͤthſel aufloͤſt — O, ich will dieſes Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬ los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und uͤber Dornen klagt.
Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen, wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth
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rungen — Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr
Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt?
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das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und
erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa.
Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort,
das dieſes Raͤthſel aufloͤſt — O, ich will dieſes
Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende
Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch
lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht
aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬
los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein
durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und
mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen
herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und
uͤber Dornen klagt.
Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu
ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo
koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen,
wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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