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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Vielleicht hört der Graf schon jetzt die Schlan¬
gen zischen -- Ich bitte dich, lieber Leser, denk'
dir jetzt die Wolfsschlucht und Samielmusik --
Vielleicht erfaßt den Grafen schon jetzt das ge¬
heime Sündergrauen, der Himmel verdüstert sich,
Nachtgevögel kreischt, ferne Donner rollen, es
blitzt, es riecht nach Colophonium, Wehe! Wehe!
die erlauchten Ahnen steigen aus den Gräbern,
sie rufen noch drey bis vier mal Wehe! Wehe!
über den kläglichen Enkel, sie beschwören ihn
ihre alten Eisenhosen anzuziehen, um sich zu
schützen vor den entsetzlichen Ruthen -- denn die
Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die
Geißelschlangen werden sich ironisch an ihm ver¬
gnügen, und wie der buhlerische König Rodrigo,
als man ihn in den Schlangenthurm gesperrt,
wird auch der arme Graf am Ende wimmern
und winseln:

Ach! sie fressen, ach! sie fressen,
Womit meistens ich gesündigt.

Vielleicht hoͤrt der Graf ſchon jetzt die Schlan¬
gen ziſchen — Ich bitte dich, lieber Leſer, denk'
dir jetzt die Wolfsſchlucht und Samielmuſik —
Vielleicht erfaßt den Grafen ſchon jetzt das ge¬
heime Suͤndergrauen, der Himmel verduͤſtert ſich,
Nachtgevoͤgel kreiſcht, ferne Donner rollen, es
blitzt, es riecht nach Colophonium, Wehe! Wehe!
die erlauchten Ahnen ſteigen aus den Graͤbern,
ſie rufen noch drey bis vier mal Wehe! Wehe!
uͤber den klaͤglichen Enkel, ſie beſchwoͤren ihn
ihre alten Eiſenhoſen anzuziehen, um ſich zu
ſchuͤtzen vor den entſetzlichen Ruthen — denn die
Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die
Geißelſchlangen werden ſich ironiſch an ihm ver¬
gnuͤgen, und wie der buhleriſche Koͤnig Rodrigo,
als man ihn in den Schlangenthurm geſperrt,
wird auch der arme Graf am Ende wimmern
und winſeln:

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Womit meiſtens ich geſuͤndigt.
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[408/0416] Vielleicht hoͤrt der Graf ſchon jetzt die Schlan¬ gen ziſchen — Ich bitte dich, lieber Leſer, denk' dir jetzt die Wolfsſchlucht und Samielmuſik — Vielleicht erfaßt den Grafen ſchon jetzt das ge¬ heime Suͤndergrauen, der Himmel verduͤſtert ſich, Nachtgevoͤgel kreiſcht, ferne Donner rollen, es blitzt, es riecht nach Colophonium, Wehe! Wehe! die erlauchten Ahnen ſteigen aus den Graͤbern, ſie rufen noch drey bis vier mal Wehe! Wehe! uͤber den klaͤglichen Enkel, ſie beſchwoͤren ihn ihre alten Eiſenhoſen anzuziehen, um ſich zu ſchuͤtzen vor den entſetzlichen Ruthen — denn die Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die Geißelſchlangen werden ſich ironiſch an ihm ver¬ gnuͤgen, und wie der buhleriſche Koͤnig Rodrigo, als man ihn in den Schlangenthurm geſperrt, wird auch der arme Graf am Ende wimmern und winſeln: Ach! ſie freſſen, ach! ſie freſſen, Womit meiſtens ich geſuͤndigt.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/416>, abgerufen am 21.11.2024.