Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen, lassen gern ein Späschen mit sich treiben,
aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene
Geschwister Rainer, die in England gewesen,
haben es noch besser verstanden, und sie hatten
noch obendrein einen guten Rathgeber, der den
Geist der englischen Nobility gut kannte. Daher
ihre gute Aufnahme im Foyer der europäischen
Aristokratie, in the west end of the town.
Als ich vorigen Sommer in den glänzenden
Konzertsälen der Londoner fashionablen Welt
diese Tyroler Sänger, gekleidet in ihre heimath¬
liche Volkstracht, das Schaugerüst betreten sah,
und von da herab jene Lieder hörte, die in den
Tyroler Alpen so naiv und fromm gejodelt werden,
und uns auch ins norddeutsche Herz so lieblich
hinabklingen -- da verzerrte sich Alles in meiner
Seele zu bitterem Unmuth, das gefällige Lächeln
vornehmer Lippen stach mich wie Schlangen, es
war mir, als sähe ich die Keuschheit des deut¬
schen Wortes auf's Roheste beleidigt, und die

ſehen, laſſen gern ein Spaͤschen mit ſich treiben,
aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene
Geſchwiſter Rainer, die in England geweſen,
haben es noch beſſer verſtanden, und ſie hatten
noch obendrein einen guten Rathgeber, der den
Geiſt der engliſchen Nobility gut kannte. Daher
ihre gute Aufnahme im Foyer der europaͤiſchen
Ariſtokratie, in the west end of the town.
Als ich vorigen Sommer in den glaͤnzenden
Konzertſaͤlen der Londoner faſhionablen Welt
dieſe Tyroler Saͤnger, gekleidet in ihre heimath¬
liche Volkstracht, das Schaugeruͤſt betreten ſah,
und von da herab jene Lieder hoͤrte, die in den
Tyroler Alpen ſo naiv und fromm gejodelt werden,
und uns auch ins norddeutſche Herz ſo lieblich
hinabklingen — da verzerrte ſich Alles in meiner
Seele zu bitterem Unmuth, das gefaͤllige Laͤcheln
vornehmer Lippen ſtach mich wie Schlangen, es
war mir, als ſaͤhe ich die Keuſchheit des deut¬
ſchen Wortes auf's Roheſte beleidigt, und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="71"/>
&#x017F;ehen, la&#x017F;&#x017F;en gern ein Spa&#x0364;schen mit &#x017F;ich treiben,<lb/>
aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene<lb/>
Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter Rainer, die in England gewe&#x017F;en,<lb/>
haben es noch be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;tanden, und &#x017F;ie hatten<lb/>
noch obendrein einen guten Rathgeber, der den<lb/>
Gei&#x017F;t der engli&#x017F;chen Nobility gut kannte. Daher<lb/>
ihre gute Aufnahme im Foyer der europa&#x0364;i&#x017F;chen<lb/>
Ari&#x017F;tokratie, <hi rendition="#aq">in the west end of the town</hi>.<lb/>
Als ich vorigen Sommer in den gla&#x0364;nzenden<lb/>
Konzert&#x017F;a&#x0364;len der Londoner fa&#x017F;hionablen Welt<lb/>
die&#x017F;e Tyroler Sa&#x0364;nger, gekleidet in ihre heimath¬<lb/>
liche Volkstracht, das Schaugeru&#x0364;&#x017F;t betreten &#x017F;ah,<lb/>
und von da herab jene Lieder ho&#x0364;rte, die in den<lb/>
Tyroler Alpen &#x017F;o naiv und fromm gejodelt werden,<lb/>
und uns auch ins norddeut&#x017F;che Herz &#x017F;o lieblich<lb/>
hinabklingen &#x2014; da verzerrte &#x017F;ich Alles in meiner<lb/>
Seele zu bitterem Unmuth, das gefa&#x0364;llige La&#x0364;cheln<lb/>
vornehmer Lippen &#x017F;tach mich wie Schlangen, es<lb/>
war mir, als &#x017F;a&#x0364;he ich die Keu&#x017F;chheit des deut¬<lb/>
&#x017F;chen Wortes auf's Rohe&#x017F;te beleidigt, und die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] ſehen, laſſen gern ein Spaͤschen mit ſich treiben, aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene Geſchwiſter Rainer, die in England geweſen, haben es noch beſſer verſtanden, und ſie hatten noch obendrein einen guten Rathgeber, der den Geiſt der engliſchen Nobility gut kannte. Daher ihre gute Aufnahme im Foyer der europaͤiſchen Ariſtokratie, in the west end of the town. Als ich vorigen Sommer in den glaͤnzenden Konzertſaͤlen der Londoner faſhionablen Welt dieſe Tyroler Saͤnger, gekleidet in ihre heimath¬ liche Volkstracht, das Schaugeruͤſt betreten ſah, und von da herab jene Lieder hoͤrte, die in den Tyroler Alpen ſo naiv und fromm gejodelt werden, und uns auch ins norddeutſche Herz ſo lieblich hinabklingen — da verzerrte ſich Alles in meiner Seele zu bitterem Unmuth, das gefaͤllige Laͤcheln vornehmer Lippen ſtach mich wie Schlangen, es war mir, als ſaͤhe ich die Keuſchheit des deut¬ ſchen Wortes auf's Roheſte beleidigt, und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/79
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/79>, abgerufen am 24.11.2024.