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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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und über dem Hause selbst ragten hinten die
hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne
beschien, daß sie aussahen wie eine ernste Schutz¬
wache von Riesen mit blanken Helmen auf den
Häuptern.

Sie spann und lächelte, und ich glaube, sie
hat mein Herz festgesponnen, während der Wagen
etwas langsamer vorbeifuhr, wegen des breiten
Stromes der Eisach, die auf der andern Seite
des Weg's dahinschoß. Die lieben Züge kamen
mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedächtniß,
überall sah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬
chischer Bildhauer aus dem Dufte einer weißen
Rose geformt zu haben schien, ganz so hinge¬
haucht zart, so überselig edel, wie er es vielleicht
einst als Jüngling geträumt in einer blühenden
Frühlingsnacht. Die Augen freilich hätte kein
Grieche erträumen und noch weniger begreifen
können. Ich aber sah sie und begriff sie, diese

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und uͤber dem Hauſe ſelbſt ragten hinten die
hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne
beſchien, daß ſie ausſahen wie eine ernſte Schutz¬
wache von Rieſen mit blanken Helmen auf den
Haͤuptern.

Sie ſpann und laͤchelte, und ich glaube, ſie
hat mein Herz feſtgeſponnen, waͤhrend der Wagen
etwas langſamer vorbeifuhr, wegen des breiten
Stromes der Eiſach, die auf der andern Seite
des Weg's dahinſchoß. Die lieben Zuͤge kamen
mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedaͤchtniß,
uͤberall ſah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬
chiſcher Bildhauer aus dem Dufte einer weißen
Roſe geformt zu haben ſchien, ganz ſo hinge¬
haucht zart, ſo uͤberſelig edel, wie er es vielleicht
einſt als Juͤngling getraͤumt in einer bluͤhenden
Fruͤhlingsnacht. Die Augen freilich haͤtte kein
Grieche ertraͤumen und noch weniger begreifen
koͤnnen. Ich aber ſah ſie und begriff ſie, dieſe

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[83/0091] und uͤber dem Hauſe ſelbſt ragten hinten die hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne beſchien, daß ſie ausſahen wie eine ernſte Schutz¬ wache von Rieſen mit blanken Helmen auf den Haͤuptern. Sie ſpann und laͤchelte, und ich glaube, ſie hat mein Herz feſtgeſponnen, waͤhrend der Wagen etwas langſamer vorbeifuhr, wegen des breiten Stromes der Eiſach, die auf der andern Seite des Weg's dahinſchoß. Die lieben Zuͤge kamen mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedaͤchtniß, uͤberall ſah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬ chiſcher Bildhauer aus dem Dufte einer weißen Roſe geformt zu haben ſchien, ganz ſo hinge¬ haucht zart, ſo uͤberſelig edel, wie er es vielleicht einſt als Juͤngling getraͤumt in einer bluͤhenden Fruͤhlingsnacht. Die Augen freilich haͤtte kein Grieche ertraͤumen und noch weniger begreifen koͤnnen. Ich aber ſah ſie und begriff ſie, dieſe 6 *

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/91>, abgerufen am 24.11.2024.