Mylady, ich liebe keine Religionsverächterin¬ nen. Schöne Frauen, die keine Religion haben, sind wie Blumen ohne Duft; sie gleichen jenen kalten, nüchternen Tulpen, die uns aus ihren chinesischen Porzelantöpfen so porzelanhaft ansehen, und wenn sie sprechen könnten, uns gewiß ausein¬ ander setzen würden, wie sie ganz natürlich aus einer Zwiebel entstanden sind, wie es hinreichend sey, wenn man hienieden nur nicht übel riecht, und wie übrigens, was den Duft betrifft, eine vernünftige Blume gar keines Duftes bedarf.
Schon bey dem Wort Tulpe gerieth Mylady in die heftigsten Bewegungen, und während ich sprach, wirkte ihre Idiosynkrasie gegen diese Blu¬ me so stark, daß sie sich verzweiflungsvoll die Oh¬ ren zuhielt. Zur Hälfte war es wohl Comödie, zur Hälfte aber auch wohl pikirter Ernst, daß sie mich mit bitterem Blicke ansah und aus Her¬ zensgrund spottscharf mich frug: Und Sie, theure
Mylady, ich liebe keine Religionsveraͤchterin¬ nen. Schoͤne Frauen, die keine Religion haben, ſind wie Blumen ohne Duft; ſie gleichen jenen kalten, nuͤchternen Tulpen, die uns aus ihren chineſiſchen Porzelantoͤpfen ſo porzelanhaft anſehen, und wenn ſie ſprechen koͤnnten, uns gewiß ausein¬ ander ſetzen wuͤrden, wie ſie ganz natuͤrlich aus einer Zwiebel entſtanden ſind, wie es hinreichend ſey, wenn man hienieden nur nicht uͤbel riecht, und wie uͤbrigens, was den Duft betrifft, eine vernuͤnftige Blume gar keines Duftes bedarf.
Schon bey dem Wort Tulpe gerieth Mylady in die heftigſten Bewegungen, und waͤhrend ich ſprach, wirkte ihre Idioſynkraſie gegen dieſe Blu¬ me ſo ſtark, daß ſie ſich verzweiflungsvoll die Oh¬ ren zuhielt. Zur Haͤlfte war es wohl Comoͤdie, zur Haͤlfte aber auch wohl pikirter Ernſt, daß ſie mich mit bitterem Blicke anſah und aus Her¬ zensgrund ſpottſcharf mich frug: Und Sie, theure
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Mylady, ich liebe keine Religionsveraͤchterin¬
nen. Schoͤne Frauen, die keine Religion haben,
ſind wie Blumen ohne Duft; ſie gleichen jenen
kalten, nuͤchternen Tulpen, die uns aus ihren
chineſiſchen Porzelantoͤpfen ſo porzelanhaft anſehen,
und wenn ſie ſprechen koͤnnten, uns gewiß ausein¬
ander ſetzen wuͤrden, wie ſie ganz natuͤrlich aus
einer Zwiebel entſtanden ſind, wie es hinreichend
ſey, wenn man hienieden nur nicht uͤbel riecht,
und wie uͤbrigens, was den Duft betrifft, eine
vernuͤnftige Blume gar keines Duftes bedarf.
Schon bey dem Wort Tulpe gerieth Mylady
in die heftigſten Bewegungen, und waͤhrend ich
ſprach, wirkte ihre Idioſynkraſie gegen dieſe Blu¬
me ſo ſtark, daß ſie ſich verzweiflungsvoll die Oh¬
ren zuhielt. Zur Haͤlfte war es wohl Comoͤdie,
zur Haͤlfte aber auch wohl pikirter Ernſt, daß
ſie mich mit bitterem Blicke anſah und aus Her¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/100>, abgerufen am 21.11.2024.
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